Review: Liquit Walker – Vergessen in der Gleichung



  • 01. Intro
    02. Vergessen in der Gleichung
    03. Wenn ich die Augen schließe
    04. Was soll ich dir sagen
    05. Nikogda / Niemals
    feat. St1m
    06. Brudermorgana


    Liquit Walker macht Rap. Guten Rap. Rap mit Charisma, Herz und Inhalt. Ohne überflüssiges Rumgepose in XXL-Baggies und der Gucci-Sommerkollektion auf dem Kopf. Ohne Tony Montana-Ausleihe im Namen und Ghetto-Inhalten in den Texten und auch ohne unnötige Beefgeschichten mit Rapperkollegen. Auch, wenn sein Kampfhund und die im Video zu "Underdog" finster dreinblickenden Kollegen das Klischee nähren, fühlt sich Liq zu mehr berufen, als nur ein Berliner Straßenrapper von vielen zu sein. Irgendwie, so scheint es, passt er nicht so richtig in diese Szene. Seine Facebookposts sind skandalbefreit, seine Texte leicht verständlich und dennoch tiefgründig und ein Majorlabel sitzt ihm ebenfalls nicht im Nacken. Kein Image, das ihn in eine bestimmte Schiene drückt. Was er hat, sind Talent und Hunger, und davon hat er reichlich: Sei es als gegnerplättendes Rapmonster bei Feuer über Deutschland und Rap am Mittwoch oder als Gewinner des Woroc-Beatcontests – er überzeugt durch seine Musik auf ganzer Linie. Und um den Hype um die eigene Person weiter zu steigern, gab's vor Kurzem die EP "Vergessen in der Gleichung" kostenlos zum Download.


    Auf den ersten Blick fällt das Release recht mager aus. Sechs Titel erwarten den Hörer, die Beats sind produziert von Woroc und Cutheta, sowie Artillery Sound, SP Soul und Jamil. Los geht's mit einem krachenden Introbeat, gescratchten Dr. Dre-Einwürfen und im Anschluss daran mit einem wütenden Liquit, der ohne Umschweife Nackenschellen an die gesamte Konkurrenz verteilt, ohne dabei Namen zu nennen oder zu sehr ins Detail zu gehen.


    "Deutschland, mach' dir keine Sorgen, dieses Mic ist grad' in den besten Händen/
    Und wenn es untergeht mit Rap, dann halt ich's fest am Ende/
    Denn allem Anschein nach dreht man uns schon das Licht runter/
    Doch der gottverdammte Kapitän geht mit sei'm Schiff unter/
    Ein Schweinestall voll mit Angst und zu schwach/
    Weil der eine versucht zu fressen, wo der and're grad' kackt/
    "
    (Liquit Walker im "Intro")


    Der von Woroc produzierte Titeltrack beginnt dort, wo das Intro endet: Liquit Walker befindet sich im Krieg gegen ganz Rapdeutschland aka die sogenannte "deutsche Rapelite", in der er sich lyrisch bis auf die Zähne bewaffnet einen Platz erzwingen möchte. Voller Druck spuckt er seine Zeilen ins Mic und überzeugt durch bildhafte Raplyrik mit Metaphern und diversen Vergleichen, ohne sich dabei in Belanglosigkeit zu verlieren. Während andere Rapper sich auf technische Finessen versteifen, konzentriert sich Liq auf den Inhalt und auf die Delivery. Zugegeben, einen Battletrack wie "Vergessen in der Gleichung" hat man schon desöfteren gehört, definitiv auch schon in besseren Ausführungen, trotzdem gelingt ihm damit ein Paukenschlag, denn wer ihn bisher nur als dritten Mann zwischen Hammer & Zirkel von den "Two and a half men"-EPs kannte, wird überrascht sein. Ähnliches Szenario kann man auch auf "Nikogda / Niemals" vorfinden, auf dem Liquit sich an der Seite von St1m über alle Regeln und Konventionen hinwegsetzt und durchaus mit Wortwitz und -gewalt zu überzeugen weiß: "Rap ist wie beim Fallschirmspringen, du musst was reißen oder du klatschst zu Boden." Viel interessanter sind jedoch die persönlichen Tracks, wie zum Beispiel "Wenn ich die Augen schließe" oder "Brudermorgana", in die Liq sehr viel Herzblut gesteckt hat. Während erstgenannter Track auf einem leicht rocklastigen Cuthetabeat seine Jugendzeit und die damit verbundenen Probleme – wie beispielsweise alkoholbedingte Abstürze, Schlägereien, vergangene Beziehungen oder düstere Arztprognosen – intensiv behandelt, geht es auf "Brudermorgana" um eine zerbrochene Freundschaft und die endgültige Abrechnung auf Tracklänge. Auch hier wird wieder klar, wie stark die Musik für ihn ein Ventil und gleichzeitig Sprachrohr für die Außenwelt ist. Während Liq so unschlagbar persönliche Themen anschneidet, verzichtet er dabei komplett auf Kollegah-ähnliche Monsterreimketten und legt seinen Fokus voll auf den Inhalt. Umso authentischer, umso tiefgründiger werden die Tracks. Sie spiegeln das Leben wieder, sind real und leicht nachzuvollziehen.


    "Bruder, ich wollte nicht gehen, ohne dir zu sagen, was du für'n Verräter bist/
    Ich hab' dich immer verstanden und jetzt verstehst du nix/
    Die Sache ist erledigt, ich/
    Dreh' mich noch ein letztes Mal um und spuck' dir eine Träne ins Gesicht/
    Wir teilen uns kein Blut in den Adern/
    Ich sag: 'Leb wohl' zu der Brudermorgana/
    "
    (Liquit Walker auf "Brudermorgana")


    Beattechnisch geht's dann auf "Was soll ich dir sagen" auch direkt mit einem Highlight weiter: Melancholisch vor sich hinklimperndes Klavier trifft auf tiefe Synthies und hohe Streicher, untermalt wird das Ganze von einem rauhen Drumset. Naja, zugegeben: Geschrieben klingt das echt nicht spektakulär, aber audiotechnisch hebt sich der Beat neben dem von "Wenn ich die Augen schließe" stark ab, während die restlichen Beats recht standardmäßig vor sich hindümpeln. So finden sich für Liqs berührende Bars also die perfekte musikalische Untermalung, wenn es heißt:


    "Ich bin schlecht darin, mich irgendjemand' anzupassen/
    Ich will kein Teil der Lügen sein, die dir die Angst erlassen/
    Schon mein ganzes Leben bin ich viel zu stolz gewesen/
    Um den Menschen zuzulächeln, die Wege aus Holz betreten/
    "
    (Liquit Walker auf "Was soll ich dir sagen")


    Fazit:
    "Wir machen keinen Rap, wir SIND Rap". Dieses Zitat trifft den Nagel auf den Kopf, viel mehr Rap könnte man wohl auf keinem anderen Release vorfinden. Trotz der kurzen Spieldauer überzeugt die EP durch straighte Musik ohne Autotune oder sonstige Modetrends und derzeit angesagten Gimmicks. Direkt in die Fresse – untermalt durch zum Teil hektische und aggressive, zum Teil auch melancholische und abrundende Beats. Zwar sind die Produktionen nicht perfekt, hier und da fehlt das gewisse Extra und auch Liqs Rap ist aus technischer Sicht nicht makellos, dafür überzeugt die Platte durch seine raue Stimme, die die Beats perfekt ergänzt, durch seine große Bandbreite an Themen, seinen Hunger, sowie seine charismatische Ausstrahlung und vor allem durch ehrlichen und harten Rap, ohne dabei in die üblichen Klischeefallen zu treten. Sehr gut, kann man machen.



    (Erich Unrau)

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  • ich feier die Ep! Liquit Walker hätte es verdient, bekannter zu werden! Und das St1m - feature ist megageil :)

  • Zitat

    Original von Tecnik
    Ich hab mir ehrlich gesagt mehr erwartet, für die ganze Zeit die er so gebraucht hat


    Hätte auch gedacht das da mehr tracks bei sind, aber ich finds jut!
    Besser als wenn noch 10 sinnlostracks das gesamtwerk runterziehen.

  • Aufjedenfall viel zu unbekannt die tracks sind wenig aber sind echt perlen dabei Was soll ich dir sagen trifft einfach so den Punkt kenn das zu gut und ich denke genügend andere auch diese Freundschaft Hassliebe.

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