Viele Deutsche decken sich mit Jodtabletten ein, um Strahlenschäden vorzubeugen, falls Radioaktivität Europa erreichen sollte. Doch bieten die Präparate aus der Apotheke keinen Schutz.
Vor Radioaktivität und ihren dramatischen Folgen für die Gesundheit schützen keine Pillen. Mit einer Ausnahme: Jodtabletten können durch Strahlung ausgelösten Schilddrüsenkrebs verhindern. Der Hintergrund: Als Spaltprodukte fallen durch einen atomaren Unfall auch das radioaktive Jod-131 und Jod-133 an. Über Atemluft und Nahrung nimmt der Körper die Stoffe auf, sie gelangen ins Blut und die Schilddrüse fischt sie heraus. Denn das Organ unterscheidet nicht zwischen harmlosem und radioaktivem Jod. Die strahlende Variante des Spurenelements kann aber nicht nur Autoimmunerkrankungen der Schilddrüse auslösen, sondern auch Krebs. Ist das Organ jedoch bereits mit unverstrahltem Jod gesättigt, nimmt es das gefährliche nicht mehr auf und Folgeschäden werden verhindert.
Tausendfach zu geringe Dosis
Deutsche Apotheken verzeichnen eine starke Nachfrage nach Jodtabletten, weil viele Bundesbürger sich bereits jetzt vor Strahlenschäden schützen wollen – egal, ob durch Fallout aus Japan oder einen Reaktorunfall in Europa. „Völliger Unsinn“, erklärt Edmund Lengfelder, Strahlenbiologe und Leiter des Otto-Hug-Strahleninstituts. Denn die in Apotheken und Drogerien verkauften Jodprodukte enthalten nur 100 bis 150 Mikrogramm des Spurenelements. Die medizinisch wirksame Dosis zur Jodblockade der Schilddrüse beträgt jedoch 50 bis 100 Milligramm, also das Tausendfache. Diese Mengen können bei älteren Menschen starke Nebenwirkungen auslösen, etwa Blutdruckspitzen und Hitzewallungen. Deshalb rät die Regierung nur dann zu ihrer Einnahme, wenn tatsächlich starke radioaktive Belastung zu erwarten ist. „In Deutschland und Europa gibt es aber derzeit keinen Grund, diese hochdosierten Medikamente zu schlucken“, stellt der Experte fest. In Japan wurden inzwischen in den gefährdeten Gebieten Jodtabletten verteilt.
Vorbild Österreich
Eine nukleare Katastrophe ist seit den Ereignissen in Japan auch anderswo denkbar, weswegen die Bundesregierung jetzt sogar spontan beschlossen hat, die ältesten Kernkraftwerke eine Zeitlang abzuschalten. Zum Schutz der Bürger plädiert Edmund Lengfelder dafür, dass jeder das hochwirksame Jod als Notfallmedikamente zu Hause oder zumindest raschen Zugang dazu hat. So ist das bespielsweise schon in Österreich, wo die Menschen die hochdosierten Medikamente in der Apotheke besorgen kann. Sind die Tabletten so problemlos verfügbar, kann jeder, sobald Radioaktivität ein gefährliches Maß erreicht hat, nach Anweisung der Gesundheitsbehörden die Jodblockade sofort durchführen. Denn die Medikamente müssen kurz vor oder spätestens zeitgleich mit der Strahlenbelastung eingenommen werden. „Ein paar Stunden zu spät, verlieren sie bereits massiv ihre Wirkung“, warnt der Experte. Wie ansonsten in einem Katastrophenfall die Verteilung der Tabletten zur Jodblockade in Deutschland funktionieren soll, ist schwer nachvollziehbar.
Keine Bereitstellung für über 45-Jährige
Übrigens ist in Deutschland nicht vorgesehen, dass Bürger über 45 Jahre die Medikamente vom Staat erhalten. Der Grund: Mit zunehmenden Jahren sinkt das allgemeine Krebsrisiko, weil sich die Zellen langsamer teilen. „Für Schilddrüsenkrebs trifft das aber nicht zu“, widerspricht Edmund Lengfelder. Seine Erfahrung aus dem Schilddrüsenzentrum in Weißrussland, in dem er seit Jahrzehnten Tschernobylopfer behandelt, zeigt, dass ältere Menschen genauso häufig betroffen sind wie junge.
quelle : http://www.focus.de/panorama/w…tabletten_aid_609218.html