01. Vorgespräch
02. Meine Fans
03. TOA I
04. Vermächtnis Skit
05. Konzeptlos
06. Jenseits von Gut und Böse feat. Morlockk Dilemma & Me$$age
07. Dokta Jotta
08. Ausreden
09. Kein Star
10. Das dreckige Leben
11. Optimist
12. Cymbalta
13. Elena
14. Lass dich gehen feat. Mach One
15. TOA II
16. Requiem Skit
17. Geheilt
18. Zeit feat. Absztrakkt
"Meine Motive sind nicht geheimnisvoll, sie sind nicht in trüben Wassern verborgen. Sie glänzen mit der kühnen Einfachheit von scharfem Stahl" – passendere Zitate als die aus Cody McFadyens Büchern könnte man als introvertierter Menschenfeind doch gar nicht nutzen, um den Hörer auf das vorzubereiten, was ihn in der nächsten Stunde erwartet. Der Freiburger "Weisse Scheisse"-Gründer JAW, auch bekannt als Dokta Jotta, will knapp vier Jahre nach seinem Debüt "Schock fürs Leben" nun für den gerechten "Täter-Opfer-Ausgleich" in der deutschsprachigen Rapszene sorgen. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Konzept des neuen Albums? Den Hörer erwartet ein Sog aus Drogenexzessen, Menschenfeindlichkeit und diabolischen Racheakten, wie sie wahrlich nur aus der Feder eines Psychopathen stammen könnten. Ob man sich in diesen hineinziehen lassen oder lieber einen großen Bogen um ihn machten sollte? Kommt ganz darauf an, ob man ins Raster eines typischen JAW-Fans passt...
"Meine Fans – sie rennen in die Schulen und schießen/
Äh, natürlich nur in Computermatrizen/
Sie zeigen lachend auf Männer mit schwulen Frauenfrisur'n/
Und tragen meistens keinen Schmuck außer 'ner tauglichen Uhr/
Meine Fans sitzen in der Nervenheilanstalt/
Und sind dort introvertiert, insofern das Teil reinknallt/"
(JAW auf "Meine Fans")
Soviel zur Zielgruppe, der sich der Herr Jotta bedient. In gewohnter antihumanitärer Haltung und mit einer Extraportion schwarzem Humor gleitet er locker über die variationsreichen Beats und zeigt abermals eine lyrische Begabung auf, wie sie von vielen Rappern wünschenswert wäre. Aber nein, nicht jeder wird diese Art der Lyrik zu schätzen wissen. Auch wenn sich JAW raptechnisch gesehen auf einem unglaublich hohen Niveau befindet, auf dem man ihn kaum zu kritisieren vermag – thematisch gesehen ist er nach wie vor einer derer, deren Texte wohl niemals für die breite Masse interessant werden dürften. Er wirft sich Hunderte verschiedener Drogen ein ("Lass dich gehen" feat. Mach One) oder lockt als Pädophiler mal wieder "kleine Melanies" an: "Du findest das irgendwie nicht witzig? – Herzlichen Dank" ("Konzeptlos"). Ja ja, man braucht schon einen gewissen Sinn für äußerst schwarzen Humor. Die Anspielstationen des Albums, anhand derer man mit Sicherheit aufweisen kann, dass diese Art von Musik nicht massentauglich ist, sind definitiv "Elena" und die beiden "TOA"-Teile. Während JAW auf ersterer als krankhafter Stalker dank der ausbleibenden Aufmerksamkeit seiner Begehrten Suizid begeht, handelt es sich bei "TOA I" und "TOA II" um Storytelling-Tracks aus der Sicht langjähriger Mobbingopfer, die sich nun aufmachen, an ihren Peinigern Rache zu üben, sprich: Für den Täter-Opfer-Ausgleich sorgen. Diese beiden Songs gestaltet er mit unglaublich viel Emotion in der Stimme und nackter Brutalität im Text, der gleichermaßen eine Vorlage für einen neuen Psychothriller sein könnte:
"'Du scheiß Schwuchtel hast meine Seele gefickt/
Und für dich und deine Kollegen war's nicht mehr als ein Witz'/
Und bis jetzt weiß er nicht, mit wem er fickt/
Der Vater kommt langsam zu sich und blutet nach einem Kick/
Ins Gesicht... Ich halt' seinem Sohn die Knarre an die Stirn/
Und irgendwie scheint sein Sprachzentrum verwirrt/"
(JAW auf "TOA II")
Doch Jotta kann auch anders: So sucht er verzweifelt nach "Ausreden", um Gespräche mit nervigen Mitmenschen zu umgehen, umschreibt mit purer Ironie, wie hart es doch ist, "Kein Star" zu sein oder sieht einfach mal die doch so schlechte Welt zwanghaft als positiv an ("Optimist"). Featuretechnisch bewegt er sich dieses Mal überwiegend außerhalb heimischer Gefilde – von den PCP-Jungs Rynerrr, Private Paul und Maexer fehlt jedenfalls jede Spur, genau wie vom Kollegen Hollywood Hank, was wohl viele Fans enttäuschen dürfte. Stattdessen sorgen Mach One, Absztrakkt, Morlockk Dilemma und Me$$age für Abwechslung. Mit den letzteren beiden liefert JAW übrigens ein weiteres kleines Albumhighlight ab: Auf "Jenseits von Gut und Böse" wird festgehalten, dass es für die beiden Begriffe einfach keine klaren Definitionen gibt und alles relativ anzusehen ist. Vor allem der Leipziger Dilemma schafft es hier mal wieder, mich mit einem äußerst düsteren Part inklusive genialer Pointe zu überzeugen, während mich Me$$age leider doch etwas enttäuscht.
"So wird der Barhocker zum Zahnstocher, ich brech' diese Fratze/
Und halte erst inne, als mich meine Kräfte verlassen/
Oh – ich kann es nicht glauben, ohne die Augen zu reiben/
Der Typ kichert und stöhnt – diese Sau hat 'nen Steifen/
So steh' ich vor dem Wichser mit blutigen Schuh'n/
Und begreif': Man kann nichts Böses wollen, ohne Gutes zu tun/"
(Morlockk Dilemma auf "Jenseits von Gut und Böse" feat.
JAW & Me$$age)
Neben JAW selbst zeichnen sich auch Nowak, Peet, Blazin Hand und Cheebabeatz für die Instrumentalisierung verantwortlich, die rundum gelungen ist. Sowohl düstere, melancholische Stücke als auch verrückte Beats, Violinenklänge, ganz heitere Melodien oder einfach nur in Sachen Schlichtheit kaum zu überbietende Drums bilden das Klanggerüst. Nur auf Clubsounds und Synthesizerbeats wird komplett verzichtet – das wäre aber auch nicht wirklich der Stil des Freiburgers und wohl völlig unpassend. Was lediglich störend auffällt, ist die Variationslosigkeit der Beats auf einigen Tracks, z.B. auf den "TOA"-Teilen oder auf "Konzeptlos". Hier werden teilweise fünf Minuten lang immer und immer wieder die selben Loops ohne Hook berappt, was auf Dauer natürlich langweilt.
Fazit:
Nachdem sich der "Weisse Scheisse"-Gründer in der letzten Zeit viel zu sehr an seine "Projekt Chaos Punks"-Attitüde geklammert hatte, findet er auf "Täter-Opfer-Ausgleich" wieder zurück zu alter Form. Der Freiburger liefert ein für meinen schwarzen Humor und meinen Anspruch an Rap-Technik wie gemachtes Album mit lediglich kleineren Störfaktoren ab, über die ich jedoch gerne hinwegsehen kann. Und so möchte ich schließlich noch einmal auf den anfangs erwähnten Sog aus Drogenexzessen, Menschenfeindlichkeit und diabolischen Racheakten hinweisen. Ob man sich in diesen letztlich hineinziehen lassen möchte, muss jeder für sich selbst entscheiden. Doch ich für meinen Teil werde in nächster Zeit wohl wieder des Öfteren in diese Schattenwelt abtauchen.
Pascal Ambros (ProRipper)
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