Wer kennt sie nicht? Die Werbung, mit der gefühlte 13 Millionen Amateurrapper in Form von Privatnachrichten in hiesigen Internetforen, Profilkommentaren auf MySpace oder Massenmails im Instantmessenger täglich unschuldige Konsumenten befeuern: "Hey, ich habe mein Album (Anm. d. Red: Mixtape, Streettape, Streetalbum, Streetmixtape, Tapemixstreet, Albumtapemix... diese Liste lässt sich beliebig fortführen) fertig gestellt. Es ist vielseitig, individuell und hebt sich von allen anderen ab."
Es wäre schön, wenn jedes Release qualitativ so hochwertig wäre, wie angekündigt, aber bei der Masse an Rappern, die seit Internet in Deutschland rumgeistern, ist das nahezu unmöglich. Die Folge: Der enttäuschte Raphörer bleibt bei Altbewährtem – da kann er ja (meistens) nichts falsch machen –, während viele Releases, die bei weitem mehr Aufmerksamkeit verdienen, in der Masse untergehen.
Mit dieser Rubrik habe ich mir das Ziel gesetzt, Releases an die Öffentlichkeit zu bringen, die meiner Meinung nach (!) mehr Aufmerksamkeit verdienen. Hier werden weder die Releases überhypeter Internetgrößen anzutreffen sein, noch Marketingspezialisten, die nach ihrem zweiten geschriebenen Text schon ein eigenes Label, eine Webseite mitsamt Promoteam und ein von Papi im Hinterhof gefilmtes Musikvideo besitzen. Es geht ausschließlich um die Qualität der Musik, um das Produkt.
Chissmann – Ganz normal
Vor allem RBA-Anhänger werden Chissmann schon lange kennen. Seit 2002 ist er in der Reimliga Battle Arena als Wolle unterwegs. Bekannt war er dort eher durch einen lockeren Laid-Back-Arroganz-Style. Auf diesem zum kostenlosen Download erhältlichen Mixtape schlägt er nun ganz andere Wege ein. So geht es auf "Ganz normal" hauptsächlich um die Depressionen, die ihn schon seit Jahren verfolgen. Chissmann verarbeitet Selbstzweifel, Suchtprobleme und Trauer sowie zu Grunde gegangene Beziehungen in den Songs, ohne dabei peinlich oder aufgesetzt zu wirken. Das liegt unter anderem daran, dass die immer etwas melancholisch und depressiv angehauchte Thematik der Raptechnik absolut keinen Abbruch tun. Kann man ihm abkaufen. Bevor die alten Hörer nun losschreien: Ja, es sind auch drei, vier Protz-Tracks, ganz im alten Style, mit dabei. Und das I-Tüpfelchen sind dann natürlich die Features mit Untergrund-Gößen wie BoZ, JAW, Klubking und Kollegah. Schade nur, dass Chissmann wohl in nächster Zeit nichts mehr von sich hören lassen wird. Die fertigen Tracks des Mixtapes liegen anscheinend schon länger hier rum, während er laut eigener Aussage seit Monaten überhaupt nichts mehr aufgenommen hat...
http://www.myspace.com/bmcrecords – kostenloser Download
Hey Frank! – Ich bin Musik
Hey Frank! heißen die nun also. Das früher als Beatzaps & Rapture bekannte Duo ist nun schon einige Zeit mit dabei und wird nun zusätzlich (vorerst nur live) vom Gitarristen Fabian Dellefant unterstützt. Auf dieser schmucken EP ist Rapture für die Rapparts zuständig, während Beatzaps an den Reglern und Instrumenten sitzt und ab und zu auch mal ein wenig Gesang zum Besten gibt. Der Albumtitel "Ich bin Musik" beschreibt den Inhalt eigentlich ziemlich gut. Hier geht es sehr funkig, melodisch und tanzbar zu. Durch treibende Drums und einer Instrumentenvielfalt, die einem Jazz-Ensemble gleicht, wirken die Beats sehr musikalisch. Und das wird durch die Vocals noch verstärkt. Indem der Gesang nicht nur auf die Hooks beschränkt, sondern wild mit den Rapstrophen vermischt wird, hat diese Art von Musik etwas Unbeschwertes und Mitreißendes. Mit lustigen, ironischen Texten und einer ausgefallenen Vortragsweise weiß Rapture zu überzeugen, zeigt aber vor allem im Feature mit endlizZ, dass man auch mal nachdenklichere Saiten anschlagen kann. Für Leute, die auch gerne mal frische, genreübergreifende Mucke hören, lohnt sich der Kauf unbedingt. Für HipHop-Nazis ist das Ganze vielleicht nicht unbedingt zu empfehlen.
http://www.myspace.com/rapture186 – zu kaufen
Grizzly & Shot – Jetzt raucht's
Grizzly & Shot sind eigentlich eins der großen Beispiele für den Wandel, den Deutschrap im letzten Jahr durchgemacht hat: Vor allem weg von der großen Gangstarap-Übersättigung. Denn die frechen Buben glänzen nicht nur mit guter Technik, sondern auch mit herausragenden und witzigen Texten. Verliebt wird da mit Worten gespielt, mal einfach nur strikt nach altbewährten Punchline-Mustern, mal mit einem etwas ausgefallenerem Konzept. So geben sie sich in manchen Songs Themen wie zum Beispiel "Promi-Dinner" oder "Jobsuche" vor, um den Leuten dann Punches dazu um die Ohren zu hauen. Und dabei werden sie von bekannten Gesichtern wie Nico Suave, Patrick mit Absicht oder Jason unterstützt, aber auch Leute aus dem RBA-Umfeld wie zum Beispiel Sorgenkind oder Don John sind mit dabei. Wer auf Wortspiel- und Punchlinerap mit gekonnten Flows steht, wird hier gut bedient. Nach musikalischer Kreativität oder sinnlichen Hooks sollte man dabei aber nicht suchen.
http://www.grizzly-shot.de – zu kaufen
Du kennst jemanden (oder bist gar selbst der Meinung, dass du jemand bist), der dem Titel "unknown King" gerecht werden kann? Diese Person hat erst vor kurzem einen Tonträger oder Freedownload veröffentlicht, der eine Erwähnung in diesem Artikel wert ist? Schick eine Bewerbung mit dem Betreff "unknown Kings – *Künstlername*" an [email protected]. Bitte beachtet aber, dass ich nicht auf jede Anfrage persönlich antworten kann. Ihr werdet sehen, ob das Release dann letztendlich seinen Platz in dieser Sammlung findet. Viel Erfolg!