Review: Colos – Independent



  • 01. Wie ein Königreich
    02. Wo soll es hinführen
    feat. Jonesmann
    03. Keine Angst
    04. Independent (Mellowvibes Rec.)
    05. Und es geht wieder los
    06. Der Teufel will mich holen
    feat. Jeyz & Criz
    07. Für immer vereint feat. Emine Bahar
    08. Mein Herz auf der Straße
    09. Sonnenbrille
    10. Keine Zeit für Faxen
    feat. Hammer & Zirkel
    11. Es war nur ein Traum feat. Mc Qoppa
    12. Früher war es so
    13. Die Zeiten haben sich verändert
    feat. Taichi & Emine Bahar
    14. Es ist egal
    15. Mein Leben lang
    feat. Emine Bahar


    "Nichts in der Welt wird so gefürchtet wie der Einfluss von Männern, die geistig unabhängig sind", heißt es von Albert Einstein. Der geniale Physiker verkörperte in seinem Denken wie Handeln diese Unabhängigkeit in einer Konsequenz, die ihn zum Vorbild und Namensgeber vieler Schulen machte. Ganz so weit hat es Colos, Berliner Rapper kosovo-albanischer Herkunft, noch nicht gebracht. Unabhängigkeit spielt aber auch in seinem Leben neuerdings eine wichtige Rolle: Da wäre erstens das Signing auf einem Independent-Label (Mellowvibes Records), zweitens die legale Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland und nicht zuletzt die Unabhängigkeit des Kosovo im Jahre 2008, die Colos dort persönlich miterlebte. Gute Gründe also, dem Nachfolger des von Kritikern gelobten 2007er-Releases "Leben im Exil" den Namen "Independent" zu geben.


    Mit dem neuen Album legt Colos ein Werk vor, das von einem musikalischen und persönlichen Reifeprozess innerhalb der letzten beiden Jahre zeugt. Die politischen Unannehmlichkeiten um die Abschiebung ins Kosovo 2007 und die Wiederankunft in Berlin ein knappes Jahr später werden indirekt thematisiert, bilden aber nicht die Grundpfeiler des Konzepts. Im Vordergrund steht die persönliche Entwicklung des Rappers mit ihren in Vergangenheit, Alltag und Zukunft hineinreichenden Facetten. Unaufgeregt klingt das, authentisch. "Gerade im Rap-Bereich spielt Glaubwürdigkeit, die immer einen hohen Stellenwert hatte, oftmals kaum noch eine Rolle", konstatiert Colos in Interviews und meint damit vor allem eins – hinter allen Texten ohne Einschränkungen stehen können, weil sie zwar künstlerisch geschaffen, aber durch das eigene Leben erzählt sind. Persönlichkeit ist das Schlüsselwort, wie spätestens auf dem dritten Track "Keine Angst" deutlich wird:


    "Ich hab' so viel erlebt und immer darüber geschrieben/
    Hab' immer weiter gekämpft, bin gekommen, um zu siegen/
    Ich liebe das Leben, gebe alles, erreiche noch mehr/
    Und werde von einem Träumer zu einem Visionär/
    "


    Bei anderen Rappern könnte man hier selbstverliebte Erfolgsrhetorik unterstellen, nicht so bei Colos. Der Optimismus folgt immer aus der erfolgreichen Vergangenheitsbewältigung heraus, ohne dass Realitäten und Einschnitte im Nachhinein kaschiert werden. Sehr deutlich wird das auf "Die Zeiten haben sich verändert" mit Emine Bahar und einem gut aufgelegten Taichi. Ein Track über zerbrochene Familienstrukturen, innerhalb derer Kinder meist die größten Leidtragenden sind. Auch hier: persönliche Erzählkraft statt aufgebauschter Betroffenheitslyrik. Gleiches gilt, thematisch durchaus verwandt, auch für das großartige "Der Teufel will mich holen" mit einem der besten Colos-Parts des Albums.


    "Was bringt die Zukunft, wenn alles im Leben sinnlos erscheint/
    In den Momenten, wenn keiner sich kümmert, wenn ein Kind weint/
    Wo jeder nur an sich denkt und an das blutige Geld/
    Das ist ja unsere Zukunft – schöne neue Welt/
    "


    Die intensivierte Beschäftigung mit dem Thema Familie ist kein Zufall: Als Ehemann und baldiger Vater ist der Berliner in einer neuen Phase der eigenen Lebensgeschichte angelangt. Umso mutiger der Schritt, einen sehr persönlich gehaltenen Liebestrack ("Mein Leben lang") als Single auszukoppeln. Unabhängig eben. An manchen Stellen ist die Liebeserklärung zwar nahe am Kitsch, aber die authentischen Gefühle überwiegen dann doch deutlich:


    "Die Zeit vergeht und wir beide werden älter/
    Wir sind jetzt eine Familie und bald sind wir Eltern/
    Du bist jetzt meine Frau und ich will es nochmals sagen/
    Ich werde dich lieben in guten wie in schlechten Tagen/
    "


    Dass "Independent" ein durchgängig rundes Albumrelease geworden ist, hat allerdings nicht nur mit der inhaltlichen Bodenständigkeit zu tun. Mit dem verlässlich brillanten Woroc sowie 7inch hat Colos zwei fähige Producer verpflichtet, die von packenden Streichern bis hin zu sphärischen Synthies und klassischen Melodiemustern beste Unterhaltung liefern. Die in der Mehrzahl düster pulsierenden Beats von Woroc ergänzen dabei ideal die softeren Klänge von 7inch. Auch die Features, allen voran Emine Bahar, Jeyz und Taichi, sind durchweg sinnvoll integriert und auf hohem künstlerischen Level.


    Ein Kritikpunkt bleibt, wie schon bei "Leben im Exil", die verbesserungsfähige technische und sprachliche Ausdrucksfähigkeit von Colos. Er ist weder ein furioser Storyteller noch flowtechnisch brillant. Auch wenn er sich gegenüber dem Vorgängerrelease technisch verbessert hat, besteht trotzdem noch einiger Spielraum nach oben. Wenn es dem Berliner gelingt, noch packender und vielseitiger im Ausdruck zu werden, ist eine weitere deutliche künstlerische Steigerung kein Problem mehr. "Solang ich weiß, dass ich mit meiner Musik Leute erreiche und vielleicht sogar etwas bewirken kann, werde ich weiter machen" verlautete Colos jüngst zum Albumrelease. Nach diesem Album spricht definitiv nichts mehr dagegen.



    (Philipp_)

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  • Gute Review, aber 4/6 Punkte? hab 1-2 Tracks gehört und kann mir nicht vorstellen, dass das Gesamte Album besser als das letzte Sido oder CCN 2 Release ist.

  • Hab das Album noch nicht ganz durchhören können, aber was ich bisher gehört hab, hat mir sehr gefallen. Ich mag seine Message, die immer in gute Texte verpackt ist.


    Definitiv ein Rapper, der etwas zu sagen hat, das fehlt mir im Moment auch bei den meisten deutschen Künstlern. Ich hoffe, dass sich die Platte gut und zahlreich verkauft.

  • Zitat

    Original von DonDan
    Gute Review, aber 4/6 Punkte? hab 1-2 Tracks gehört und kann mir nicht vorstellen, dass das Gesamte Album besser als das letzte Sido oder CCN 2 Release ist.


    Das hängt auch davon ab, welcher Redakteur das Review schreibt. Da ich weder Sido noch CCN 2 rezensiert habe, kann man die Wertungen nicht direkt vergleichen.

  • Dafür gibt es doch auch immer die Userbewertung, die ist doch viel representativer, wenn ersteinmal ein paar mehr Leute gevotet haben.

  • Zitat

    Original von MoretimeProductions
    Dafür gibt es doch auch immer die Userbewertung, die ist doch viel representativer, wenn ersteinmal ein paar mehr Leute gevotet haben.



    Also in letzter Zeit bewundere ich Deine Geduld, ehrlich wahr :D

  • Schade wenn Colos den meisten hier kein Begriff ist.
    Er war unter anderem einer derjenigen die "Deutschlands vergessene Kinder" auf die Beine gestellt haben. Hab leider noch nicht die Gelegenheit gehabt ins Album reinzuhören, aber kann mir durchaus vorstellen das es die 4/6 verdient hat. Andererseits krieg ich Kopfschmerzen wenn ich namen wie Taichi in der Tracklist lese. Nunja, werde ich mir bei gelegenheit auf jedenfall mal geben.

  • Zitat

    Original von Rouminio
    Schade wenn Colos den meisten hier kein Begriff ist.
    Er war unter anderem einer derjenigen die "Deutschlands vergessene Kinder" auf die Beine gestellt haben. Hab leider noch nicht die Gelegenheit gehabt ins Album reinzuhören, aber kann mir durchaus vorstellen das es die 4/6 verdient hat. Andererseits krieg ich Kopfschmerzen wenn ich namen wie Taichi in der Tracklist lese. Nunja, werde ich mir bei gelegenheit auf jedenfall mal geben.


    Ausserdem ist er Mitbegründer von 36Boyz.


    Auf Deutschlands vergessene Kinder 2 is auch n Track von ihm drauf, der ist ebenfalls sehr nice. Ist das Ding eigentlich offiziell schon draussen?

  • Das Album ist sehr gut geworden. Es ist jetzt auch nicht so das er in jedem Track den Vater spielt. Tracks wie "Mellowvibez", "Es ist egal", "Es geht wieder los" oder "Sonnenbrille" ballern richtig.


    Hammer und Zirkel feature ist auch lustig geworden.

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