01. Intro
02. Sido
03. Hey Du!
04. Geburtstag
05. Skit 1
06. Der Tanz feat. K.I.Z.
07. Wenn das alles ist feat. J-Luv
08. Marie & Jana
09. Skit 2
10. Ich bereue nichts feat. G-Hot
11. Sicher?
12. Skit 3
13. Seniorenstatus feat. Samy Deluxe
14. Siggi & Harry feat. Harris
15. Ruf mich feat. Kitty Kat & Bintia
16. Schlampen von gestern feat. Doreen
17. Skit 4
18. Sie bleibt
19. Für jeden feat. B-Tight & Alpa Gun
20. 10 Jahre feat. Die Sekte
21. Outro
Hidden Track: Seniorenstatus RMX feat. Samy Deluxe, Liquit Walker, Greckoe & Laas Unltd.
Es ist ein Problem, dem sich die allermeisten von uns wohl leider niemals werden stellen müssen. For rap superstars only! Wer als Junge aus armen Verhältnissen in der Musiklandschaft nach Chart-Gold buddelt, hat mit großem Glück das große Pech, sich dabei seine Hauptinspirationsquelle abzugraben: die armen Verhältnisse. Und spätestens, wenn dann mal wieder ein Album fällig wird, guckt manch einer unter Umständen ganz schön dumm aus der Maske. Doch wo sein in dieser Sache vielleicht einzig echter Leidensgenosse, Anis Ferchichi, immer lauter werdenden Fragen nach einem Verfallsdatum für Street Credibility zum Trotz weitermacht wie gehabt, ist Paul Würdig – einen hab' ich noch – Maskenmanns genug, sich der neuen Situation zu stellen. Dumm aus der Maske gucken, Maskenmanns genug – Last-Minute-Wortwitzeleien, denn Sidos jüngstes mal wieder fällig gewordenes Album "Aggro Berlin" hat tatsächlich nur noch so wenig mit Vorvorvorgänger "Maske" zu tun, dass sich der mittlerweile 28-Jährige bereits im Non-Rap-Intro endgültig von seinem einstigen Erkennungsmerkmal trennt. Seltsam nur: Was dann folgt, lässt ihn maskierter erscheinen als jemals zuvor...
Aber der Reihe nach! Features? Von A wie Alpa Gun bis Z wie "ziemlich viele andere" wartet "Aggro Berlin" standesgemäß mit dem gesamten süßlich riechenden Dunstkreis des Namenspate stehenden Ex-Arbeitgebers auf. Hinzu kommen Fremdklangkörper à la Sam Semilia oder K.I.Z. und, nach anfänglich nur Worten ("Sido"), bekennt der Hausherr mit dem finalen Guestspot schließlich auch in Taten: "Ich bin ein Laas Unltd. Fan!". Und die Produzenten? Nach dem Motto "wenn's kein Hit wird, ist der Andere schuld" kommen die Beats von so dynamischen Duos wie Paul NZA und Marek Pompetzki, Djorkaeff und Beatzarre, M3&Noyd sowie DJ Desue und niemandem. Tönt im Prinzip wieder nach einem waschechten Sägeblattschuss? Let's find out!
"Wie ich gewonn', mich gefeiert und gelacht habe/
Ihr müsst es einseh'n, das war'n achtbare acht Jahre/
Wir ha'm das Land regiert von Ansage zu Ansage/
Guck, wie ich mit Stolz dieses Tattoo auf meiner Hand trage/"
Aggro-Nachruf, Abrechnung mit den "Popstars"-Machern und ein letzter Blick durch die verchromten Augenhöhlen – auf ein deutschrapgeschichtsträchtiges Jahr 2009. Selfmades Berlin-Tourstop und die Reunion von Sonny & Fler mit inbegriffen. Dazu ein zertifiziertes Gerät der Bauart NZA/Pompetzki inklusive "Sidoooo"-Chören, eingeleitet von einem neckischen "mach ihn auf, den Mund, hier kommt 'ne Ladung...". Gleich zum Auftakt macht (im doppelten Sinn) "Sido" alles richtig. Doch schon wenn zwei Tracks weiter die als Desinteresse missverstandenen Überraschungspartyvorbereitungen seiner Freunde den unerwartet selbstmordgefährdeten Rapper spontan Todes- statt "Geburtstag" feiern lassen, fragt man sich doch, ob es nicht ein Fehler gewesen sein könnte, derartig früh derartig viel thematisches Pulver zu verschießen.
Der Maestro selbst jedoch fühlt sich allem Anschein nach zu Höherem berufen und kann sich mit Szenegeplänkel schlicht nicht länger aufhalten. Auch die schwer melancholische Nummer "Sicher" macht deutlich, dass Sido nicht länger gewillt ist, auf selbige zu gehen, sondern mehr denn je inhaltlich wie musikalisch expandieren möchte:
"In deiner Beziehung bist du der Mann – bist du sicher?/
Für sie tust du alles, was du kannst – bist du sicher?/
Du fühlst dich wohl, wenn sie dich anlacht – bist du sicher?/
Aber irgendwas is' anders – sicher?/"
Doch nicht nur bezüglich "ihr" kann mich unser Goldjunge mit solchen Exkursen verunsichern. Ich habe Fragen. Zum Beispiel: Soll ich mir wirklich von einem MC, der sich vor wenigen Sonnenumrundungen noch bevorzugt als unverbesserlicher Sozialversager inszeniert hat, das Leben erklären lassen? Und warum versucht mir ein Millionenstar allen Ernstes einen leidlich als metaphorisch zu deutenden Song lang einzureden, ich könne mich jederzeit melden, wenn ich mal ein Problemchen habe? Warum mussten all die trotzig-stolzen Selbstbekräftigungen von G-Hot, J-Luv, B-Tight und natürlich C-Dough selbst gleich auf so viele Stücke verteilt werden? Warum denke ich als eigentlich Krömer-Fan nach dieser gänzlich unlustigen Skit-Reihe bloß "Gott sei Dank sind Kurts Auftritte Kurzauftritte"? Ist eine Marihuana-Vermenschlichung mit Reggae-Anleihen plötzlich wieder innovativ, nur weil man dabei statt einer Sie gleich zwei besingsangt? Und am allerallerdringlichsten: Wie viel "Marie & Jana" muss man denn bitte konsumieren, um auf so was wie diese "Siggi & Harry"-Hook zu kommen?
"Eigentlich wollte Ramona nur Kippen holen, aber sie kam nich' mehr heim/
Diese Luise hat mich bestohlen, für Cora war er zu klein/
Marene lies mich allene, für Gabi war ich zu dumm/
Maria lebt jetzt bei Pia – sie steht jetzt nich' mehr auf Jungs/"
("Schlampen von gestern")
Jawoll! Der süffisante Abgesang auf alle des Namens Würdig unwürdigen Frauen dieser Welt bringt für dreieinhalb Minuten den Sido aus'm Block zurück: So entwaffnend selbstironisch, dass vollkommen unpeinlich und stets mit diesem augenzwinkernd kindlichen Charme. Für volle dreieinhalb Minuten. Bis dann Doreen – ohrenscheinlich begeistert ob der Tatsache, unerwähnt geblieben zu sein – daherkommt und die ganze schöne "Ach, die gute alte Zeit!"-Stimmung binnen Sekunden wieder kaputtträllert. Scheinbar gibt's passend zur rosaroten Brille neuerdings auch noch den rosaroten Kopfhörer. Schade, denn in eine ähnliche Kerbe schlagen nur noch die Schmonzette "Der Tanz" mit K.I.Z. plus Sidos allesamt fehlschlagenden Schlussmachversuche auf "Sie bleibt". Letzteres übrigens – auch hier lassen die Menschenfresser in Alltagskluft grüßen – ein Cover des Yankees-Evergreens "Halbstark".
Fazit:
"Aggro Berlin" ist... Hmm. Noch nie ist mir dieser Satz am Ende einer Rezension so schwer gefallen. "Aggro Berlin" ist alles und nichts. "Aggro Berlin" ist Scheitern auf hohem Niveau. Auf der Suche nach einer neuen musikalischen Identität ist Sido zweifellos rumgekommen, hat uns auch einiges an Eindrücken mitgebracht, doch so richtig angekommen ist er nirgends. Dumm nur, dass er wohl irgendwie auch nicht mehr zurück nach Hause zu können scheint. So ist es eventuell doch sinniger als man auf den ersten Blick meinen möchte, wenn der Mann auf "Seniorenstatus" Parallelen zu ausgerechnet Samy Deluxe zieht. Egal. Auch auf die Gefahr, hier den Künstler mit dessen Kunstfigur zu verwechseln: Als einschlägig vorbelasteter Hörer bekomme ich zunehmend den Eindruck, das superintelligente Drogenopfer könne von Album zu Album immer weniger "er selbst" sein. Und zumindest mir persönlich war im Grunde stets gleich, ob die Totenkopfmaske nun aktuell aufgesetzt ist oder nicht – nur die Texte sollten es doch wirklich zu keiner Zeit sein! Schade. Irgendwie vermisse ich ohnehin die Zeit, als Mama mir das neue Sido-Album noch wegen der meinen jugendlichen Verstand vergiftenden Lyrics weggenommen hat und nicht, weil sie "dieses witzige Lied da" nochmal hören wollte.
holi (Nico Mönnig)
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