Review: Bizzy Montana – Mukke aus der Unterschicht 3



  • 01. Intro
    02. Wir sind Helden
    feat. Chakuza
    03. Over
    04. Alleine gegen die Welt
    feat. Ava
    05. Ich kann nicht schlafen
    06. Jugendschutzgesetz

    07. Prototypproleten feat. Raf Camora
    08. Hoffnungslos
    09. Alle guten Dinge sind 3
    feat. Cashmo
    10. Hilferuf
    11. Izzokay
    12. Leb wohl
    13. Unterwegs
    14. Frei

    15. Der Tag, an dem die Erde still steht feat. Sonnik Boom
    16. Zeitlupe
    17. Wir bleiben hier
    feat. D-Bo
    18. Outro


    Unterschicht. Ein gleichermaßen provozierendes wie nebulöses Wort, unterschwellig mit Diskussionen um das neue Prekariat und den Reizbegriff "Hartz 4" besetzt. Diffamierende Kategorisierungen gibt es viele, schlüssige Einordnungen wiederum nicht. "Eins unter der Mittelschicht" lautet die saloppe Definition von Bizzy Montana. Was das EGJ-Mitglied damit sagen will? In erster Linie, dass "die" Unterschicht nicht durch formale Definitionen eingegrenzt werden kann. Hier geht es um Lebensrealitäten. Bizzy Montana hat diese Realitäten von jeher in seinen Texten widergespiegelt, in einer Unverfälschtheit, die ihm eine treue Fangemeinde jenseits der jugendlichen Ghettorap-Fraktion gesichert hat. Ohne das Ghetto-Pathos seines Labelchefs und abseits jeder aufgesetzten Gangster-Attitüde zeichneten schon die beiden ersten "Mukke aus der Unterschicht"-Alben ein differenziertes Bild jener Welt, die gleichermaßen stilisiert wie verachtet durch die deutsche Medienlandschaft geistert.


    Mit dem dritten Teil findet die "M.a.d.U."-Trilogie nun ihren Abschluss. Achtzehn Tracks umfasst das Streetalbum, beinahe ausschließlich von Bizzy selbst produziert. Eine Platte aus einem Guss %uFFFD das ist man vom Breisgauer gewohnt und das bietet er auch auf dem letzten Teil. Wobei man diese elaborierte Stellung als Abschluss nicht in dem Sinne deuten darf, dass "M.a.d.U. 3" die Antwort auf die Fragen der ersten beiden Teile darstellt. "Mukke aus der Unterschicht" %uFFFD das ist nach wie vor die Fähigkeit, Widersprüche zu benennen, anstatt sie zu übertünchen. In diesem Sinne heißt es im orchestralen Intro:


    "Das ist keine Anleitung oder Anweisung für den Weg in die Freiheit/
    Keine peinliche Weisheit, das ist mein täglicher Lifestyle/
    Ein Tag in meiner Welt fernab von diesen Kinderzimmer-G's/
    Ich sehe die Krisen und Probleme und verinnerliche sie/
    "


    Der tägliche Lifestyle in der Unterschicht. Dieses Thema durchzieht thematisch das gesamte Album. Es sind emotionale Momentaufnahmen eines Lebens in einer nächtlichen Welt der Einsamkeit, in welcher Selbstzweifel und Selbstbehauptung nur zusammen existieren können: "Es macht mich alles krank, man, ich kann nicht reden nur schreiben/ Und mittlerweile leb' ich nur noch, um am Leben zu bleiben" heißt es so trotzig wie verzweifelt in "Hilferuf". Ähnlich die insomniegetränkte Nachtballade "Ich kann nicht schlafen": eine Auseinandersetzung mit jener Art von nagenden Selbstzweifeln, die bis in die Morgenstunden wach halten. Die Frage der identitären Zugehörigkeit abseits des Zeitgeistes ist omnipräsent: "Auf der Straße stellt man mir die Frage, was ich denn auch sagen will/ Partner, ich war nie Ghetto und passe nicht in das Straßenbild". Es ist diese Verweigerung des Klischees, die Bizzy Montana von jeher sympathisch machte. Das ist im dritten Teil nicht anders.


    Diese Verweigerungshaltung bleibt nicht ohne Folgen. Leichtfertig könnte man die von sphärisch-melancholischen Synthiebeats unterlegten Wanderungen durch das Unterschichten-Seelenleben mit dem Prädikat "depressiv" belegen. Tatsächlich durchzieht ein latenter Fatalismus viele der Texte: "Ich würde gerne, wenn ich könnte, diese Welt verbessern/ Doch es bleibt ein Traum und morgen ist die Welt noch so wie gestern" heißt es in "Hoffnungslos". Statt Tatendrang und Dauerhaftigkeit dominieren Rausch, Exzesse und Gedankenspiele auf eine bessere Zukunft. Das erinnert frappierend an Chakuzas brillanten Track "Legenden". Nicht zu Unrecht. In "Hilferuf" heißt es:


    "Nein, hier geht es nicht um mich, ich bin mir selbst egal/
    Ja, ich mache Mukke, aber das is' keine Heldentat/
    Weil unsere Väter und Großväter Helden war'n/
    Wir sind keine Helden, wir sind höchstens in das Geld vernarrt/
    "


    Deutliche Worte und nicht weit entfernt von Rilke, wo es hieß: "Die großen Worte aus den Zeiten, da Geschehn noch sichtbar war, sind nicht für uns. Wer spricht von Siegen? Überstehn ist alles" (Rilke: Requiem, 1908). Erlösung scheint in dieser Welt unerreichbar und so verwundert es denn kaum, dass einer der schönsten Tracks auf M.a.d.U. 3, "Leb Wohl" dem Abschied nehmen gewidmet ist. Ein wunderbar instrumentiertes und sensibel getextetes Kleinjuwel, weit weg vom Gefühlskitsch, der die Szene derzeit überfrachtet. Beispielhaft der Schluss des zweiten Parts, der mehr nach Poesie als nach Rap klingt:


    "Unsere Reise ist zu Ende, deine Zeit ist jetzt gekommen/
    Unsere Tage sind gezählt und deshalb schreib ich diesen Song/
    Ich bin so weit mit dir gekommen/
    Und der Rest von deiner Asche fliegt in Richtung Himmel/
    Ich begleite dich mit diesen Abschiedsbrief/
    "


    Die Welt ertragen um ihrer selbst willen? Nicht ganz. Das Politische mag nicht dominant sein auf "M.a.d.U. 3", aber der einzige offen politische Song ist ein definitives Albumhighlight. "Jugendschutzgesetz" thematisiert eine Jugend, welche aus reiner Ziellosigkeit heraus ihr Leben mit Exzessen brandmarkt, nur um noch tiefer in die Katastrophe zu rutschen. Geschichten aus der Unterschicht und einer Obrigkeit, die sich längst zu weit von dieser Realität entfernt hat, um sie zu begreifen, geschweige denn als Grund zum Handeln aufzufassen. Strengere Verbote, härtere Strafen, mehr Kontrollen %uFFFD Folgen bekämpfen statt Ursachen aufdecken scheint die Devise. Ursachen sind nach Bizzys Meinung vor allem bei den Eltern zu suchen und nicht bei der vermeintlichen Vorbildfunktion deutscher Rapper:


    "Ich bin auch nur ein Produkt von dieser Welt und ihrer Hinterlist/
    Und nein, ich kann kein Vorbild sein, ich kann es und ich will es nicht/
    Auch wenn es jetzt behindert ist, ich sage nur 'Wacht auf!'/
    Ihr habt Probleme zu Hause, doch lasst eure Kinder da raus/
    "
    ("Jugendschutzgesetz")


    Ein gut aufgelegter Bizzy Montana also. Da schmerzt es doppelt, dass die representerlastigen Feature-Tracks deutlich abfallen. Das liegt einerseits an der fehlenden thematischen Integration in das Gesamtkonzept, andererseits daran, dass Battlephrasen wirklich nicht Bizzys Stärke sind. Dazu kommt, dass keiner der Featuregäste (Sonnik Boom, Raf Camora, Cashmo und D-Bo) wirklich eigene Akzente zu setzen vermag. Lediglich "Wir sind Helden" mit Chakuza macht zum Auftakt wirklich Spaß, was zu einem guten Teil dem genialischen Einfall geschuldet ist, ein Album wie M.a.d.U. 3 mit einer Referenz an die Oberschichten-Popsternchen "Wir sind Helden" einzuläuten.


    Festzuhalten bleibt, dass "Mukke aus der Unterschicht 3" ein würdiger, stringenter Abschluss der Trilogie ist. Es ist ein sorgfältiges, durchdachtes Album mit eigenem Stil und einer unverkrampften Authentizität, wie sie selten geworden ist. Langweilig vor allem für jene, deren Erfahrungshorizont ein gänzlich anderer ist oder die nicht gewillt sind, sich ganz auf dieses Album einzulassen. Letzteres ist, das muss man konstatieren, auch dieses Mal keine einfache Aufgabe. Dazu ist Bizzy Montana stilistisch zu konsequent. Welches der drei "M.a.d.U."-Alben schlussendlich am besten ist, bleibt an diesen Stellen mal dahingestellt. Zusammengenommen gehören sie jedoch definitiv zum Bemerkenswertesten, was Deutschrap in den letzten Jahren hervorgebracht hat.



    (Philipp_)

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  • Zitat

    Original von Philipp_
    Unterschicht. Ein gleichermaßen provozierendes wie nebulöses Wort, unterschwellig mit Diskussionen um das neue Prekariat und den Reizbegriff "Hartz 4" besetzt. Diffamierende Kategorisierungen gibt es viele, schlüssige Einordnungen wiederum nicht. "Eins unter der Mittelschicht" lautet die saloppe Definition von Bizzy Montana. Was das EGJ-Mitglied damit sagen will?


    Das klingt irgendwie so unglaublich konstruiert keine Ahnung, der Rest ist gut aber das hätte man "natürlicher" schreiben können, anstatt soviele hochgestochene Wörter wie möglich in ein paar Sätze zu packen.

  • Zitat

    Original von Cop Dickie


    Das klingt irgendwie so unglaublich konstruiert keine Ahnung, der Rest ist gut aber das hätte man "natürlicher" schreiben können, anstatt soviele hochgestochene Wörter wie möglich in ein paar Sätze zu packen.


    den gedanken hat ich auch, is teilweise schwer zu lesen/verstehn für manche denk ich.



    ich sollte mir das album glaub ma anhören bei solch einer bewertung, nur hab ich angfst danach in ein ghetto unterschicht tief zu fallen

  • schönes album schöne review bringt sehr guten einblick in das album !!! was wirklich sehr gelungen ist !!!


    Da kann ich nur den letzten Satz wiederholen

    Zitat

    Zusammengenommen gehören sie jedoch definitiv zum Bemerkenswertesten, was Deutschrap in den letzten Jahren hervorgebracht hat.

  • Zitat

    Original von Philipp_
    Diese Verweigerungshaltung bleibt nicht ohne Folgen. Leichtfertig könnte man die von sphärisch-melancholischen Synthiebeats unterlegten Wanderungen durch das Unterschichten-Seelenleben mit dem Prädikat "depressiv" belegen.
    [REDBEW]268 [/REDBEW]


    *lol*


    "Depressiv" ist ganz sicher kein Prädikat. v :D :D :D :chu:

  • Bei der Menge an Sympathisanten, die dieses Album findet, frage ich mich, ob ihr alle auch so krass am Boden seid, da Herr Bizzy auf fast allen Tracks mit der Welt abgeschlossen haben zu scheint, so kommt's mir vor. Ich kann dieses Album leider gar nicht feiern. Er hätte ruhig einen anderen Weg finden können, um sich interessant zu machen, statt einem sein Leid an die Backe zu kleben. Noch schlimmer finde ich's, dass manche das feiern und sich dann auch so ins Leid stürzen, um zu glauben, man sei auf diese Weise großartig wie der Herr Rapper selbst. So einen Hammer-Track wie "Kerzenlicht" von M.a.d.U.2 gibt es nicht annähernd auf diesem Album. Auch sein Flow ist meiner Meinung nach eher ein Rückschritt.
    Es geht uns ja allen so schlecht, er bringt es auf den Punkt, die Welt ist so unfair... Einfallsreichtum wird bei diesem Album auf voller Strecke vermisst und mir erscheint es nicht so, als sei diese depressive Stimmung ein Konzept. Gerade diese depressiven Texte flutschen einem mit Leichtigkeit aus den Fingern, wenn man sich ewig weiter in sein Leid reinstürzt und nicht aufhört dran zu nagen. Somit macht ihr euch Gefangene eurer Selbst und toll ist daran nichts.


    Dieses ist eine sehr persönliche Meinung, ich will niemandem vorschreiben, wie er zu sein hat. Wer sich dennoch angegriffen fühlt, soll ruhig überlegen warum.

  • Nur weil man das feiert, stürzt man sich nicht gleich ins Leid oder identifiziert sich so krass mit den Texten das man sich in Depressionen stürzt.


    Find das Album ganz gut, den 1 Teil fand ich aber immer noch am besten

  • M.a.d.U. 3 review- jeaaaaaaaaaaaaaaaaaaah.


    danach hab ich doch die ganze zeit gefragt.


    inhaltlich kann ich dem review komplett zustimmen, nur die ausformulierung is (wie schon erwähnt) zum teil äußert komplex.


    aber trotzdem danke dafür. ihr seid die besten =)

  • Zitat

    Original von Trush
    Bizzy ist der King :king:


    Alle Alben sind sehr geil, hör fast nurnoch Bizzy.


    Und wer das Review nicht versteht kann sich doch n' Wörterbuch(o.ä.) zur Hand nehmen ;)


    ne präzise und gut strukturierte ausformulierung is prinzipiell immer ok. nur an manchen stellen schadet das hier einfach der lesbarkeit, wenn zuviele fremdwörter aneinandergereiht auf einen einprasseln. aber größtenteils ises ja durchaus in ordnung, sind nur einzelne passagen, in denen das etwas raussticht

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