01. Intro
02. Bereit für den Kampf
03. Platz an der Sonne
04. Anders
05. Worte der Wut
06. Unumstritten
07. Schwarz Weiss
08. Nur aus dem Grund feat. Ossi Ostler
09. Hört mich an
10. Steht auf feat. King Orgasmus One
11. Ich bin Deutschland
12. Hörst Du Sie? feat. Joe Rilla
13. Beton
14. 100 Prozent feat. Morlockk Dilemma
15. Schau mich an
16. Es geht nicht mehr
"Junge, was dir fehlt, ist DISZIPLIN!" Das pflegt mein alter Herr immer wieder zu sagen. Ob Deutschraps Papa – nein, nicht Fler – einst ebenso gesprochen haben könnte, dieser Frage wollen wir uns heute doch einmal näher widmen. Denn ein gewisser Ben Arnold – ReimligaBattleArena-Jüngern eventuell noch unter dem Namen K!Force ein Begriff – schickt sich dieser Tage an, uns mit seinem zweiten Langspieler "Platz an der Sonne" genau davon zu überzeugen. Den Herrn Arnold kennt man mittlerweile nämlich auch als Dissziplin – nur echt mit dem klischeetriefend wortwitzelnden Doppel-s, dessen Assoziation mit Hitlers Schutzstaffel ihm in seiner Heimat einst den Ruf des rappenden Neonazis einbrachte. Ein Missverständnis nicht ohne Hintergrund, denn schließlich residiert, rappt und representet Dissziplin in Cottbus, der Noch-Großstadt im östlichsten Osten Deutschlands, wo Perspektivlosigkeit immer mehr Jugendliche in hitlergrüßende Arme treibt.
Für den Dreiundzwanzigjährigen dennoch eine Frechheit und so macht "Platz an der Sonne" unbeirrt da weiter, wo Debütalbum "Plattenbauten" 2008 aufgehört hat. Auf 16 Instrumentalen, gezimmert von Mars Madness, ChromAkkustik, Dubilicious, Violin Crime, KevoeWest und Betonbeatz, wird ausgiebigst die Hometown wie auch die Rest-Ex-DDR besungen – mal mit stolzgeschwellter Brust, mal mit wutgeballter Faust – und auch auf die eine oder anderen Deutschtümelei muss erneut niemand verzichten. Tatkräftige Unterstützung gibt's von den Gleichgesinnten Rilla und Ostler sowie Morlockk Dilemma und seiner königlichen Hoheit, dem ersten Orgasmus.
Für's Warm-up wird jedoch erstmal Ulrike Meinhof bzw. BMK-Darstellerin Martina Gedeck bemüht, bevor mit Intro "Intro", "Bereit für den Kampf" und Titeltrack dreimal betonplattenhartes Fahnehochhalten am Stück über einen herein bricht. Das bedeutet Sechzehner voll Lokalpatriotismus und Preußen-Pathos für die Eastside, kontrastiert durch allgemeinzugängliche Hooks, mit denen sich auch Otto Normalraphörer identifizieren kann. Fertig.
"Sieh uns an: Das ist eine Bewegung/
Du frontest im Netz, doch zeigst live keine Regung/
Komm' in den Osten – wir zerbrechen dich und deinen Benz/
Ostler sind scheiße? Erkläre das erst meinen Fans/"
("Bereit für den Kampf")
Sieht auf dem virtuellen Papier vielleicht nicht allzu beeindruckend aus. Doch das Ganze dargeboten auf Beat gewordener Aufbruchstimmung, garniert mit einem Schuss Melancholie und Schwermut und schnell wird deutlich: Was dem jungen Mann an lyrischer Finesse fehlen mag, weiß er mit einem gewissen Know-how in Sachen Atmosphäre durchaus wieder wettzumachen. Kurzum: Der Funke springt definitiv über. Dissziplin, das ist Stolz und Unzufriedenheit, Zuversicht und Resignation gleichermaßen. Dissziplin, das ist ehrlich, authentisch und ungeschönt. Dissziplin, das ist vieles, nur – auch wenn uns die so betitelte Selbstkonditionierung in Trackform das mit Nachdruck weismachen will – eines leider nicht: "Anders".
"Und so bin ich – ich bin nun mal anders/
Das is' nicht arrogant – nur anders als Standard/
Ich bin nicht wie die meisten hier/
Und ich schreib das, damit ihr's vielleicht kapiert/"
("Anders")
Tja, wenn man es sich nur lange genug selbst einredet, glaubt man so was irgendwann wohl wirklich. Denn eines muss an dieser Stelle ganz klar gesagt werden: "Platz an der Sonne" liefert sicher nichts, womit nicht schon ein Dutzend anderer Jung-MCs auf die Papierpirsch gegangen wäre. Ein paar Kampfbegriffe ausgetauscht und der harte Cottbusser ginge wohl problemlos als ebenso harter Berliner durch. Plattenbausiedlungen gibt's in der Bundeshauptstadt ja auch zu Genüge.
Freilich: Es ist schön zu wissen, dass es da noch ein Mittelding gibt, zwischen nerdigen Hobbyrappern im zehnten Semester und wandelnden Aufbaupräparatampullen, die keine vier Zeilen schaffen, ohne ihr lyrisches Ich in eine Karosse hineinzufantasieren, deren Zigarettenanzünder sie sich bereits nicht leisten könnten. Und temporär weiß das angenehm entschlackte Gemisch aus etwas Battle, etwas deep, vor allem aber einer großen Portion Real Talk, wie man so schön sagt, durchaus zu unterhalten. Aber die wiederkehrenden, immer gleichen Motive und eine nie unpassende, doch in letzter Konsequenz nur selten wirklich zwingende Produktion vermögen leider nur bedingt, den Hörer tatsächlich eine volle Stunde bei der Stange zu halten.
Bezeichnend, dass einem so selbst ein Guestspot für den Herrn Orgasmus zum echten – Achtung, jetzt kommt's – Höhepunkt gereicht. Denn mit Ausnahme des aller Wahrscheinlichkeit nach dem privaten Freundeskreis des Gastgebers entlaufenen Talentvakuums Ossi Ostler wissen sämtliche Features zu gefallen und etwaigen Ermüdungserscheinungen so wenigstens ein Stück weit entgegenzuwirken. Spoken View-Neuverpflichtung Morlockk Dilemma etwa punktet mit Lines wie "Wenn du mal stirbst, gehen deine Fäuste originalverpackt zurück" ("100 Prozent") und auch der stimmgewaltige Joe Rilla hat auf Scarebeatz' Ceipeks dunkeldüsteren Klageliedchen "Hörst du sie?" durchaus seine Daseinsberechtigung. Und sei es nur, einen endgültig vom Dissziplins Stimmeinsatz geschuldeten Verdacht zu befreien, man habe es in Wahrheit doch mit Shiml nach einem Schlaganfall zu tun.
Dass der Mann hinter Egocentric-Music aber auch ohne Schützenhilfe einen Hit landen kann, beweist spätestens "Ich bin Deutschland". Begleitet von einem gänsehautverdächtigen Arrangement schaurigschöner Streicher erhebt sich die selbsternannte "Stimme der Deutschen" gegen Erbschuld und falsche Betroffenheit und nimmt Lokalreportern, die aus D.s Musik den braunen Ton herauszuhören meinen, ein für alle mal den Wind aus den Segeln:
"Ich bin Deutschland und ich hab' es satt mit der Vergangenheit/
Über sechzig Jahre sind für mich eine lange Zeit/
Wir müssen aufhören, nur nach hinten zu schauen/
Denn einen Schritt weit voran, Leute, bringt uns das kaum/
Ich bin kein Nazi – nur Jahrgang 85/
Kein' Bock mehr auf früher, was mal war und jetzt hasst mich/"
("Ich bin Deutschland")
Inhaltlich vielleicht ein wenig zu Stammtisch und zur tatsächlichen Hymne fehlt letztendlich mindestens ein wirklich amtlicher Refrain, aber in Sachen Ohrwurm-Faktor dennoch Albumrekordhalter. Und zumindest dürfte damit auch dem übereifrigsten Möchtegern-Enthüllungsjournalisten klar geworden sein, dass Zeilen wie "Das ist die Mucke für ganz Deutschland und seinen Leuten" vielleicht auf eine kleine Grammatikschwäche schließen lassen, aber sicher nicht auf eine wie auch immer geartete politische Färbung.
Was noch? Ein paar mehr Representer nach Schema D. und schließlich eine bemühte, aber in ihrem Versuch, zu berühren, dann doch an Sohnemanns noch ausbaufähigen Songwritingskills scheiternde Botschaft an den verstorbenen leiblichen Vater. That's it. Und "Vater" ist dann auch schon das Stichwort, mit dem sich unser Kreis schließt. Denn auf die eingangs gestellte Frage lässt sich nach etwas über 59 Minuten Dissziplin genau eine richtige Antwort geben: Jein! LP Nummer zwei entpuppt sich nicht nur in politischer Hinsicht als vollkommen harmlos und dürfte zumindest überregional für eher wenig Wirbel sorgen. Nichtsdestotrotz: Aller Simplizität und seinem gewöhnungsbedürftig tönenden Organ zum Trotz kommt man am Ende nicht umhin, zumindest ein wenig Sympathie zu empfinden für den gutherzigen Adoptivjungen, der doch eigentlich nichts weiter will, als seine gebeutelte Gegend ein wenig ins kollektive Bewusstsein zu rücken und ihn sich und seinen Leuten so vielleicht doch noch zu erkämpfen – den Platz an der Sonne.
holi (Nico Mönnig)
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