1. Stadt des Nichts
2. Eiserne Fronten
3. Buch der Scheidewege
4. Lederner Gürtel
5. Jedi Tricks
6. Skit
7. Herzenswunsch
8. Insidejob
9. Free Willy
10. Uppercuts
11. Kreuz
12. Immer wieder
13. König des Kummers
14. Keine Diskussionen
15. Outro
Wie ist es wohl, in einer Welt aus Paranoia zu leben? Nicht dein üblicher 0815-Neet-Misantrophismus, sondern ein richtig nach außen gekehrtes Empfinden, dass die Welt dir und nur dir allein Böses will und Unrecht tut. Stelle ich mir überwältigend vor, so dass es einen stets beschäftigt – und damit andere Aufgaben recht schwierig macht. Durch die eine einzige Brille ist nun mal die Paranoia immer Priorität. Nehmen wir an, eine solche Person, getrieben von seinem Verfolgungswahn, würde Musiker. Wäre Musik für jemand so Besessenen nicht immer nur ein Vehikel, seinen Wahn nach außen zu kehren? Gäbe es nicht sogar Sinn für so jemanden, die Musik zu suchen, da sie ihm Plattform bietet? Denn als Standesbeamter oder Landschaftsgärtner lässt sich das drängende Sendungsbewusstsein mit Sicherheit nicht so einfach ausleben. Demzufolge müsste es einige solcher Typen geben, natürlich in verschiedenen Intensitätsgraden ihrer Paranoia. Und, damit wir von ihnen hören, damit sie ein Minimum an Erfolg haben, braucht dieser Menschenschlag aber natürlich irgendetwas Besonderes, irgendeine Hook, die dazu führt, dass das Publikum nicht nur abgestoßen ist von der Message. Bei Eminem mag es Dre sein, bei Prodigy die Street Cred und seine Technik und Absztrakkt versucht mit "Mama sagt Knock Ihn Aus" nachzuweisen, dass er auch dieses Etwas hat.
Wer denkt, dass dieser Albumtitel das plumpeste Buddhistenwortspiel noch vor "Warum geht der Dalai langsam den Berg hoch? Er ist halt ein Lama" sein muss, der sei an den früheren Albumtitel "Bodhiguard" erinnert. Jedenfalls knüpft unser MC mit dem Alias Bodhi Balboa an diese glorreiche Tradition an, ein echter Grund für die Umbenennung erschließt sich nicht, da das Album rasch erkennbar auf für ihn üblichen Pfaden tritt. Womit wir wieder bei der für ihn typischen Suppe aus Verfolgungswahn und Verschwörungstheorien wären, die dieses Release sehr stark prägen. Diese Paranoia ist Absz völlig gegönnt und aus künstlerischer Sicht zunächst keineswegs verwerflich. Was hingegen ein echtes Problem ist, ist die Wirrheit des Ganzen, die erratisch und letztlich irgendwie lieblos wirkt. Obsession zeichnet sich ja durch eine extreme Beschäftigung mit einem Sujet aus, die natürlich sehr zu begrüßen ist. Aber diese Auseinandersetzung mit den ihm offenkundig so enorm wichtigen Themen, zuvorderst ein Mann im aktuellen Deutschland zu sein, als Teil einer Gesellschaft und eines Marktes, findet nirgendwo statt, sondern kratzt maximal die Oberfläche. Wenn der MC Dinger raushaut wie
Ja in Deutschland darf man alles sein/
außer ein Deutscher
(Absztrakkt auf "Eiserne Fronten")
reflektiert das durchaus eine aktuelle Debatte, aber diese Line hängt völlig in der Luft. Davor kommt ein abstrakter Rant mit Selbstlobhuldigung, danach der Refrain, aber diese Line, mit dieser plakativen Aussage, wird einfach auf der Wäscheleine vorm Asylantenheim hängengelassen und fügt sich so ein in diverse Warnungen vor irgendeiner abstrakten Gefahr von außen/Ausland, die aber nie erläutert wird, und zigfachen Kurzrants gegen Verweiblichung, die arg an Pirincci erinnern und wie beim Vorbild nie über seichte Homophobie hinausreichen. Diesen Mangel an intellektueller Dichte spiegelt auch Bodhis bisherige Behandlung des Buddhismus wieder. Ich bin kein Religionswissenschaftler, aber auch eine rudimentäre Beschäftigung mit dem Buddhismus macht einem eindringlich klar, dass sich Absztrakkts Phrasen mit keiner der zahlreichen historischen Spielarten des Buddhismus vereinbaren lassen – was kein Problem wäre, wenn Absz seine eigene Spielart ausreichend unterfüttern würde. Tatsächlich aber bezieht er seinen Reiz aus der Auseinandersetzung mit dem Buddhismus augenscheinlich nur daraus, trotz Anhängerschaft einer als friedfertig geltenden Religion offen mit Gewalt drohen zu können. Wie auch auf den Vorgängern wehrt er sich auf dieser Scheibe präemptiv gegen Kritik an seiner Nutzung der Religion, ohne jedoch jemals zu erklären, warum die Kritik denn eigentlich ungerechtfertigt ist.
Deine Meinung echt kann kein Gewicht für mich haben/
Du bist nicht in der Lage, so wie ich zu erfahren/
Doch ich hoffe, du bist dir im Klaren/
Ich such nur die Fehler in mir/
Dass alle Buddha Statuen der Erde/
Vor Rührung 'ne Träne verlieren
(Absztrakkt auf "Lederner Gürtel")
Blendet man die politisch wirren Passagen aus und quält sich durch die dicke Melange aus Selbstmitleid, kann Absztrakkt durchaus mit interessanten Sprachbildern aufwarten, und zwar mehr als auf bisherigen Releases. So empfiehlt der MC auf "Stadt des Nichts": "Doch halt dein Maul/ Du weißt genau wie die Nudeln stopfen aus Kärnten", aber eben dieses Durchkämpfen durch die offen xenophoben und sexistischen Schichten wird zusammen mit der schon immer vorhandenen Scheinspiritualität fast unmöglich. Es ist keineswegs Satire, die Absztrakkts Sexismus von beispielsweise Bushido unterscheidet; betrachtet man Sonnys hochgradig sexistischen Klassiker "Pussy", ist seine Motivation klar, er wurde verletzt und keilt aus. Lines auf "Buch der Scheidewege" ("Deine unterdrückte Weiblichkeit verletzt meine Gefühle") oder "König des Kummers" ("Du kriegst in die Fresse, die Olive und die Orange") wirken dagegen instinktiv abstoßend, denn der Österreicher wirkt gleichzeitig vollkommen authentisch und unmotiviert. Hier lebt einfach jemand seine wirren und gleichzeitig völlig belanglosen Machtphantasien aus. Bevor ihr auf den hatenden Rezensenten schimpft, lassen wir den MC selbst sprechen. Wie es im fürchterlichen Pressetext auf hvv.de ohne Rücksicht auf das Bilderberg-Kontrollinstrument Satzzeichen heißt:
"Es erzählt die Geschichte eines durch Verrat und Verleumdung gefallenen missverstandenen Musikers der sich aus Sehnsucht nach Liebe dem Kampf gegen sich selbst stellt. Ein Werk auf welchem sehr viel Verletzheit [sic!] und Schmerz herauszuhören ist. Ob er es schafft wieder zur Herzöffnung zurückzufinden steht in den Sternen. Eingefleischte Absztrakkt Hörer [sic!] brauchen sich aber trotz der scheinbar dominierenden Aggressivität keine Sorgen machen, Spiritualität und Wahrheitssuche kommen nicht zu kurz."
Nuff' said, oder? Fühlt sich jedenfalls eher wie Anus- als Herzöffnung an.
Über den Inhalt wurde schon viel geschrieben und das ist auch gerechtfertigt, denn man merkt, dass der MC dort selbst seinen Schwerpunkt sieht, alles wirkt darauf ausgerichtet. Die Beats von Roey Marquis II. stören konsequenterweise nicht, sondern untermalen den Vortrag eher, ohne große Experimente oder Brüche, mit sehr zurückgenommenen und klassischen Instrumentalen – würde so auch zu einem durchschnittlichen Jedi-Mind-Tricks-Song passen. Da das handwerklich zumeist sauber geschieht und Absztrakkt wie gewohnt über eine klare und prägnante Delivery verfügt, geht das völlig in Ordnung. Richtig daneben geht es immer dann, wenn Roey eine Extraportion Pathos liefert, was über kitischige Geigen ("Free Willy" und "Buch der Scheidewege") geschieht, denn zusammen mit den selbstmitleidigen Texten klebt der ganze Song dann wie ein Wincent-Weiss-Cover (GNTM!) von diesem anderen Schirmmützenspasti. Die Platte lässt für sich genommen trotz Absztrakkts Stärken als MC Abwechslung und, aufgrund der sehr homogenen Themen der einzelnen Songs, Wiedererkennbarkeit vermissen. Eingeordnet im Gesamtwerk fehlt auch schlicht die Evolution – Absztrakkt war auf "Chambermukke" nicht nur kein anderer, sondern schlussendlich derselbe Rapper, der er heute ist. Das kann man Verlässlichkeit nennen, auf seinem nur durchschnittlichen Niveau ist es für mich Stillstand. Dass sich manches prononcierter als früher anhört, ist einerseits der besseren Produktion geschuldet, hat vermutlich auch mit Erfahrung zu tun – dieser minimale technische Fortschritt ersetzt aber keine Evolution als Künstler.
Nicht unerwähnt bleiben soll, dass das hier das hässlichste Cover aller Zeiten ist. Kein Kind würde das so machen, kein Tier. Wie der Entstehungsprozess gewesen sein soll, bleibt mir schleierhaft. In einem Frühjahr, in dem "Francis Trouble" von Albert Hammond Jr (gleichwohl gutes Album) erscheint, ein noch hässlicheres Cover vorzulegen, das ist schon eine Leistung.
Fazit:
So komplex unser cisleithanischer Rapper gerne wäre, so klar muss das Verdikt ausfallen: Ein durch den Textmorast unterdurchschnittliches Rapalbum eines technisch leicht überdurchschnittlichen Rappers in einer Reihe durchschnittlicher Rapalben desselben Rappers, die sich textlich und musikalisch im Laufe der Zeit nicht weiterentwickelt haben. Daran ändert auch der Zusatz des Alias nichts, dadurch wird das Werk auch nicht theologisch fundierter aus buddhistischer Sicht oder interessanter für den Konsumenten. Ich bezweifle stark, ob die Person Absztrakkt über genug Selbstreflektion verfügt, um die Selbstverleugnung besonders authentisch zu sein und dabei doch nur seine eigene Suppe immer ziehen zu lassen, zu durchbrechen. Schade drum, einen Katzenroman von ihm würde ich aber lesen, das schaffte Akif ja auch noch trotz plem-plem.
Franz Xaver Mauerer
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