Rap ist die textlastigste Musikrichtung überhaupt. Das bringt unglaublich viele Eigenheiten mit sich, die die meisten von uns an der Kultur so schätzen und lieben: Es ist Ausdrucksform und Chance zugleich, jeder kann sich mittels dieser Form von Musik an die Spitze kämpfen und nicht nur Stimme einer Generation sein, sondern auch tiefste Emotionalität oder interessante Gedanken zum Ausdruck bringen. Eben dadurch, dass es unendlich viele Gedanken, Gefühle und Erlebnisse gibt, kann jeder Rapper quasi aus einem unendlichen Pool an Möglichkeiten schöpfen, mit denen er seinen Texten die besondere Note verleiht oder seinen eigenen Stempel aufdrückt. Das wird uns solange interessanten Rap liefern, wie es kreative Musiker gibt – hoffentlich für immer.
Was aber einerseits solch Großartiges mit sich bringen kann, verleitet einige Rapper zum Zeigen von negativen Facetten. Sicherlich ist es gerade eine Eigenschaft von HipHop, Grenzen auszutesten und zu überschreiten, denn erst so ergründet man neue Wege zur Verwirklichung eben der eigenen Kunst. Wo jedoch die Grenzen eines jeden Textes enden sollten, dürfte den meisten vernünftig denkenden Menschen klar sein: Sobald der künstlerische Wert einer Zeile gen 0 rast und gleichzeitig das Maß an Diskriminierung, Respektlosigkeit oder eben Verantwortungslosigkeit gegenüber den (oft sehr beeinflussbaren) Hörern offensichtlich unverhältnismäßig dazu steht, sollte man bestimmte Aussagen, wenn nicht rechtlich, dann aber moralisch verurteilen. Hier soll es nicht darum gehen, jedes "Fick deine Mutter" herauszupicken und in RTL-Manier ohne jegliches Verständnis für die Kultur typische Statements oder Beleidigungen zu diffamieren. Viel mehr geht es darum, eben diese Kultur, dieses Grenzen überschreiten und sich auszuprobieren, dadurch zu fördern und zu verteidigen, dass eben ein "fick den und den" oder ein Beef etwas anderes sind als Antisemitismus, Vermittlung von offenkundig dümmlichen Gedanken, die eindeutig die jüngere Hörerschaft zu physischer oder verbaler Gewalt mobilisieren sollen, oder eine Diskrimierung, die die Überhand gewinnt. Denn was auch immer alles zu HipHop dazugehören mag: Rechtsradikalismus, Antisemitismus, Rassismus, und und und – wir wollen euch hier nicht. Wir haben deswegen beispielhaft ein paar Zeilen herausgesucht, die eindeutig die Grenzen des Ertragbaren überschreiten und ein besonders hohes Maß an Verantwortungslosigkeit zeigen. Zeilen, mit denen Rapper oft ihrer Hörerschaft gegenüber ein Bild von Menschen oder der Welt vermitteln, das mehr als nur bedenklich scheint. Dabei soll dieser Artikel weder einen Anspruch auf Vollständigkeit erheben noch sollen die hier zitierten Rapper in ihren Gedanken oder ihrer Kunst insgesamt beleidigt werden.
[Anmerkung: Offenkundig Rechten Rap haben wir komplett herausgelassen, da er erstens nicht subtil ist, zweitens nicht erfolgreich (und daher auch nicht hier gezeigt und damit indirekt unterstützt werden sollte) und wir ihn drittens schon anhand eines Beispiels behandelt haben.]
"Nordkorea wird beobachtet per Satellit – beim G8 Gipfel wurde Kim Jong aggressiv" (Kianush & PA Sports)
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Fangen wir mit einem aktuellen Beispiel solch problematischer Zeilen an. Hier war es gleichzeitig einfach und schwierig, eine passende Zeile zu finden – einfach, weil der gesamte Track problematische Aussagen und Gedanken vermittelt, um Hörer zu mobilisieren und in der Destruktivität zu versinken; schwierig, weil der gesamte Text so ein unkonkretes Gewäsch darstellt, dass man keine explizite Zeile findet, die die hier gezeigte Weltsicht auf den Punkt bringt. Kurzum: Alle sind böse, aber wir haben den Code geknackt, leider können wir ihn Euch nicht konkret darlegen und Argumente liefern, deswegen labern wir einfach irgendwas rum und bringen noch ein bisschen Antiamerikanismus, grundlegende Feindlichkeit gegenüber Eliten (Grüße an die AfD) und eine Kollegah Hook, da eben der sich ja eh gern mal über einen "jüdischen Rechtsverdreher" freut und auch sonst nicht zögert, in seiner """Gesellschaftskritik""" Illuminaten für alles verantwortlich zu machen. Zwar sind Raptracks keine Essays oder gar Abhandlungen, jedoch sollte man sich bei Sozialkritik zumindest auf ein Mindestmaß an Konkretheit und Sinnhaftigkeit einlassen dürfen. Dass "Telvision" nicht nur genau die Zielgruppe erreicht, sondern auch ernsthaft oft junge Hörer mobilisiert, lässt sich in den Kommentaren bei den sozialen Medien mehr als deutlich erkennen: "Endlich mal ein paar mutige, die es aussprechen", "So und nicht anders!" sind sinngemäß wohl die meist unterstützten Aussagen der Fans. Wenn wir dann noch einen Blick auf Kianushs Facebook-Seite werfen, sehen wir fast das gesamte Spektrum an Verschwörungstheorien abgearbeitet. Dass man mit solchen einfachen Antworten und wirren Theorien, die ein simples Gut-Böse-Weltbild tragen, nebenbei noch radikale und populistische Gruppen unterstützt – geschenkt. "Telvision" vereint das Who is Who der Verschwörungstheorien und sollte Standardwerk für jeden Verschwörungstheoretiker sein, der etwas auf sich hält. Von Wischi-Waschi-Aussagen und sinnloser Staatskritik ist alles dabei. Für alle halbwegs selbstbewussten und vernünftigen: Hört Euch das nicht an, dieser Quatsch macht einen wütend. Klärt Euch seriös (in Verschwörungstheoretikerdeutsch: elitengelenkt) auf, entscheidet für Euch und wenn Ihr etwas ändern wollt, stellt Euch auf, überzeugt Menschen und lasst Euch wählen – leider steht Ihr bei einem Wahlerfolg dann selbst im Visier eben solcher Kianushs und KC Rebells.
"Dazu ein paar Zahlen, die Erde ist hohl/ Rothschild-Theorie, man ich kenn' da paar Codes/ ... Ich hab' vieles gehört, ob so alles auch wahr ist, Reptil/ Obama Security, hat was/ Geh auf YouTube und verfolge den Scheiß" (Olexesh)
[indent][spotitrack]spotify:track:1510R4Al30k3mRr5ioHdgC[/spotitrack][/indent]
Ebenfalls sehr beliebt und von vielen Kollegen bereits behandelt: Olexesh lässt mal richtig raus, was ihm so nach ein paar Stunden auf Youtube auf dem Herzen liegt. Dass er nebenbei dazu überhaupt Zeit hat, bei der Zahl an Tracks, die der Typ so bringt, ist schon beeindruckend. Zum Textschreiben ist dann wohl auch die übrige Zeit drauf gegangen, denn viel nachgedacht hat er nicht. Hohlerde, Rothschild Theorie (und ja, die ist antisemitisch), Reptiloiden – alles dabei. Für verirrte Seelen sicherlich ein gutes Pflaster, auch hier das gleiche wie bei "Telvision", nur eben offensichtlicher und lustiger: Wirre Gedankengebäude, gestützt von Indizien, Langeweile und ohne jegliche Konkretheit. Einfach mal die Welt in ein paar Minuten verstehen – jetzt auf Youtube. Olexesh lässt sich verleiten, haut so etwas Peinliches als Part raus, passend dazu auch noch auf einem Haftbefehl Track, der gern mal ein bisschen Rothschild-Theorie und Eliten-Hass untergebracht hat (wovon er sich heute aber glücklicherweise distanziert). Alles in allem eine große Peinlichkeit, der ich aber fast schon die Verantwortungslosigkeit absprechen will, da es schon viel Gedankenausfall braucht, um auf solchen Quatsch zu kommen – ein Part reicht da zum Überzeugen noch nicht aus. Trotzdem eine lustige Peinlichkeit und ein mehr als verdientes negatives Echo seitens der Öffentlichkeit.
"Sie änderten dein' Namen in Israel/ Doch für mich wird es immer nur Palästina geben" (Ali Bumaye)
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Ein bisschen auf sentimental gemacht, schon schaut der Ali Bumaye Fan (in echt: Shindy oder Bushido Fan) gerne mal darüber hinweg, dass hier Israel einfach mal von der Landkarte gelöscht wird. Sind ja nur persönliche Gefühle und guck doch mal, der ist so traurig. Dass der Nahost-Konflikt mit Sicherheit einer der langwierigsten und kompliziertesten der Nachkriegszeit ist, sollte jedem bewusst sein. Ali und auch einige andere Rapper nutzen diese Komplexität gern einmal, um für ihre Seite ein bisschen Werbung zu machen. Antisemitismus und Aufrufe zum Kampf inklusive. Oft wird diese Haltung auch noch in Verbindung mit dem muslimischen Glauben gebracht, um auch diese Fans für sich zu mobilisieren und ein bisschen Stimmung für Palästina und (genau das ist das Problem) gegen Israel zu machen. Verständnis für die Gegenseite oder Kompromissvorschläge? Fehlanzeige. Mit solchen Tracks macht man vor allem eines: Stimmung anheizen. Dafür, dass der Kampf noch nicht verloren ist und Palästina ja endlich befreit werden müsse. Jedem, der so etwas unterstützt, sollte klar sein, dass damit genau das Gegenteil von Frieden propagiert wird. Für Außenstehende ergibt das eine einfache Gleichung: Muslime = Israelhasser = Antisemiten. Dieses verschrobene Bild, das natürlich keinesfalls den Tatsachen entspricht, wird durch solche Songs (passend dazu gibt es auch einen von Massiv mit dem gleichen Titel) noch gestützt, anstatt der Stimme der Vernunft ein bisschen Raum und Kompromissen oder zumindest der Konstruktivität ein paar Chancen einzuräumen.
"Wär ich Pietro, hätte Sarah keine Zähne mehr" (Jasko)
[indent][youtube]iLYmP9Di-5c[/youtube][/indent]
Sexismus und Chauvinismus spielen eine Rolle im Rap. Das ist lange nicht so schlimm, wie viele tun. Genauso wie Behinderte, Homosexuelle, Deutsche oder Männer und viele andere Gruppen benutzt werden, um eine Punchline zu kreieren, sind auch Frauen Teil des Ganzen. Diese Grenzüberschreitungen sind definitiv im Bereich des Ertragbaren, vor allem dann, wenn diese Zeilen eindeutig nicht ernst gemeint sind oder eine Gruppe angreifen, die sich auch selbst wehren kann (zum Beispiel eben Frauen). Problematisch wird dies aber, wenn physische Gewalt dort hineingebracht und mit eben diesen Rollenbildern und Diskriminierungen vermischt wird. Dann ist einen traditionellen Haushalt führen, in dem die Frau putzt und kocht (übertrieben formuliert), auf einmal das gleiche, wie seine Frau zu schlagen, wenn sie nicht gehorcht, eben wie Jasko es hier anstelle von Pietro täte. Da eben das ein aktuelles Thema ist (danke auch an RapUpdate, pff), scheint es auch nicht so, als verwende Jasko eine solche Äußerung lediglich als Punchline – denn es gibt keinen größeren Kontext, weder davor noch dahinter; nur diese eine Aussage gibt es. Sich über das Verhalten einer Frau aufzuregen, ist genauso legitim wie bei jedem anderen. Dann aber Gewalt zu wünschen und das auch noch in der Rolle ihres Mannes ("wäre ich Pietro") ist nicht nur grob diskriminierend, sondern eben auch einfach beleidigend gegenüber der Person selbst. Diese Problematik scheint wenig schlimm, da aber diese traditionellen Rollenbilder Teil unseres Alltags sind (egal, ob wir sie leben, ablehnen oder ob sie uns egal sind), ist eine Vermischung mit Gewalt fatal.
"Heute landen die geldgeilen Banker/ Auf der Strasse, wie am 11. September" (Maxim)
K.I.Z. – Revolution
HipHop ist meistens links. Es ist die Stimme der Unterschicht. Deswegen ist es auch vollkommen üblich und gar nicht mal verachtenswert, dass die meisten politischen Tracks im Deutschrap immer noch linksgerichtet sind. Motive wie die Liebe zu den Menschen, Gleichheit oder Auflösung sozialer Missstände werden glorifiziert und das Ganze passt einem auch irgendwie in diese Attitüde und den HipHop-Gedanken insgesamt, völlig egal, wie man diesen nun vertritt oder davon abweicht. Leider ist Linksradikalismus auch davon deutlich zu differenzieren. Und hier kommen K.I.Z. ins Spiel. Denn Tracks wie "Hurra die Welt geht unter" tun niemandem weh. Wenn angebliche Unterdrückung mit Gewalt bekämpft werden soll, ist die Grenze jedoch überschritten. Denn ob man nun einen Brandsatz auf ein Flüchtlingsheim oder einen Molotov-Cocktail auf Polizisten wirft – mit Liebe zum Menschen hat beides nichts mehr zu tun. Im Track "Revolution", der als Bonus-Track auf dem "Ganz oben" Mixtape erschien, ließen sich die Berliner Jungs hinreißen. Stumpfe Gewaltfantasien gegen angebliche Obrigkeiten, internationale Aufrufe, sich zu formieren – im Gegensatz zu ihrem sonst so unterhaltsamen Battlerap offenbaren die drei Rapper hier eine Weltanschauung, die durch ihre Radikalität nicht nur erschreckt, sondern auch andere gesellschaftskritische Tracks von der Gruppe in einem anderen Licht erscheinen lässt. Dass dann noch ein RAF-Täter als Vorbild genommen und "das Volk belogen" wird und "nur die Medienhetze" kennt, gibt mit Blick aus dem Jahr 2016 nochmal einen viel negativeren Beigeschmack.
Wichtig sollte bei solchen Inhalten vor allem eines sein: differenziertes Hören. Dass K.I.Z. einen solchen Track gebracht haben oder andere Rapper sich im Ton gehörig vergreifen, macht sie erstmal nicht zu schlechteren Künstlern. Es ist dennoch wichtig, dass jeder für sich glaubt, was er von sich aus für richtig hält und sich nicht von seinen Idolen hinreißen lässt. Nur weil viele Kollegah für einen "krassen Lyriker" halten, macht ihn das nicht zu jemandem, der automatisch die Welt verstanden hat. Nur weil K.I.Z. Missstände klar benennen, haben sie noch lange nicht das Patentrezept für die Lösung. Und so weiter. Hört Rap, habt Spaß bei dem, was Ihr hört. Aber hört auf, Euch von Rappern oder sonst wem aus anderen Gründen als Eurem (hoffentlich) logischen Verstand politisch vereinnahmen oder Eure Sicht verengen zu lassen. Moralpredigt Ende.
(Max)