Tatwaffe ist unzufrieden mit unserer Review (hier nachlesen)
Aufmerksame Beobachter unseres Facebookaccounts durften vor Kurzem Zeuge eines besonderen Ereignisses werden, welches es in letzter Zeit öfter zu bestaunen gibt: Tatwaffe (besser bekannt als kahlköpfiger, rappender Bestandteil von "Die Firma") war äußerst unzufrieden mit unserer Review zu seinem neuen Album und tat dies auch offen kund. Dem Rapperego entsprechend war er der Meinung, unser Redakteur sei nicht fähig, die musikalische Vielfalt der Platte zu erkennen, und auch die Tatsache, dass der Rapper größtenteils Lyrics vom Stapel lässt, "die tiefer gehen als der Rest von Rap Deutschland", ist unserem lieben Stiff Scratch dummerweise entgangen. Wir sollten uns als Redakteure ein bisschen ernster nehmen, schrieb der ehemalige Gold- und Platinrapper abschließend Sonntagabend unter einen Facebook-Post. Worauf will der gute Patroni hinaus? Das steht im Titel, aber hier nochmal für alle: Ich stelle mich der Frage, was die Kritikunfähigkeit deutscher Rapper mit dem Musikjournalismus anstellt.
Montez ist ähnlich unzufrieden, reagiert aber wesentlich weniger erwachsen (hier die Review nachlesen)
Tatwaffe ist zwar der Auslöser dieses Artikels, aber eigentlich hier ein schlechtes Beispiel, denn er hat wesentlich besonnener reagiert, als wir es gewohnt sind, und keine weiteren Schritte eingeleitet. Ich kann auch kaum über mangelnde Kritikfähigkeit reden und im selben Artikel Rapper für das Äußern von Kritik anprangern. Das Problem entsteht erst, wenn die Träger zu großer Rapperhoden anfangen, Magazine in ihrer Berichterstattung zu beeinflussen. Wenn Montez trotz guter Bewertung den Mittelfinger postet, weil ihm Phrasendrescherei vorgeworfen wird, ist das Ganze zwar unreif, nicht sonderlich schlau und zeigt schon, wie unsicher der Künstler selbst seiner eigenen Musik gegenüberstehen muss, aber es ist in gewisser Weise legitim und stört uns als Redaktion nicht in unserer Arbeitsweise. Wenn allerdings ein ziemlich großes Straßenrap-Label wegen schlechter Bewertungen von – so ehrlich müssen wir sein – schlechten Alben per Mail mitteilt, künftig von jeglicher Zusammenarbeit mit rappers.in abzusehen, entsteht ein Problem. An diesem Punkt versucht der Rapper, das Label oder wer auch immer, Druck auszuüben, um gute Kritiken für jede Musik ungeachtet deren Qualität zu bekommen. Stellen wir uns an diesem Punkt einfach kurz vor, wie Nicolas Cage bei der Academy anruft und einen Oscar für seine Rolle in Con Air fordert mit der Drohung, sonst nicht zur Verleihung zu kommen.
Hier müssten die Magazine eine Einheit bilden, denn der Rapper kann nicht aufhören, mit allen Magazinen zusammenzuarbeiten, aus dem einfachen Grund, weil in diesem fiktiven Fall niemand mehr über ihn spricht und er früher oder später in den Gemüseladen zurückkehren muss, in dem er mit 16 gearbeitet hat. Wenn nun alle Magazine dieses schlechte Album schlecht bewerten, führt dies dazu, dass weniger Menschen dieses und logischerweise auch das nächste, vermutlich ähnlich schlechte Album des Rappers kaufen und er früher oder später in den Gemüseladen zurückkehren muss, in dem er mit 16 gearbeitet hat. Allen, die jetzt noch dabei sind und mir folgen konnten, brennt folgende Frage (mit Sicherheit!) auf der Zunge: Warum ist dieser rein fiktive Rapper nicht längst in dem Gemüseladen, in dem er mit 16 gearbeitet hat? Ganz einfach: Weil Magazine positiv über ihn berichten, aus Angst, einen Kooperationspartner für Interviews und Videopremieren zu verlieren, aus Angst, die Labelkollegen ebenfalls zu verlieren und aus Angst, im gleichen Atemzug massenhaft Klicks, die Geld bedeuten, zu verlieren. Natürlich haben die Magazine nicht die Macht, durch kollektiven Boykott Acts wie Haftbefehl, Sido, Casper oder Cro zu zerstören, allerdings ist es kein Problem, Rapper von mittelmäßigem Bekanntheitsgrad am Aufstieg zu hindern – sofern der Künstler durch seine Musik allein nicht zu überzeugen vermag. Leider beherrschen gerade diese mäßig begabten Rapper die Promomaschinerie besser als jeder andere und sorgen somit auch für massenhaft der vorhin erwähnten Klicks; wie der aufmerksame Leser sich erinnert: Klicks = Geld. Auch würde sich kaum jemand tatsächlich anhören, wie Kollegah die Evolution leugnet und Kool Savas eine fragwürdige Aussage nach der anderen tätigt, ohne kritisch zu hinterfragen, was der Gegenüber eigentlich gerade sagen möchte, wenn man damit nicht Gefahr laufen würde, einen wichtigen Partner und Klickgaranten zu verlieren. Also fragt man lieber nochmal nach der Bosstransformation oder lässt den Rapper ausschweifend erzählen, wer eigentlich dieses großartige Cover gemacht hat, auf dem er vor einer besprühten Wand steht. Bloß kein Risiko eingehen.
Meine fragwürdige Bewunderung gilt an dieser Stelle Stompy von der Backspin, der vor kurzem mit Julian Williams das wohl hassenswerteste Interview in der jüngeren Rapgeschichte führen musste, ohne ein einziges Mal ausfällig zu werden – Respekt für diese Selbstbeherrschung, steigt mein Blutdruck alleine beim Ansehen des Interviews schon in den vierstelligen Bereich. Im Worst-Case-Szenario sitzt ein Rapper zwei Stunden lang vor der Kamera und darf erzählen, wie cool er ist, was für eine musikalisch hochwertige Offenbarung sein Album darstellen wird, wen er aus welchem lächerlichen Grund hasst, wer seine Haare schneidet und vor allem, warum am besten jeder Zuschauer die auf 90.000 Stück limitierte Box mit praktischem Laserpointer und Instrumental-CD für läppische 52 Euro bei Amazon bestellen sollte, während der alibimäßig platzierte Moderator sich mit der Aufgabe begnügt, durch diese elendslange Selbstbeweihräucherung zu führen und unkritische, langweilige Fragen à la "Wie hoch würdest du gerne charten?" zu stellen. Artistpleasing auf höchstem Niveau, demnächst verteilt Rooz dann Fußmassagen an seine Gäste. Wir sitzen vor unseren Bildschirmen, sehen das Interview und hoffen, dass endlich jemand diesen innovationsresistenten "Rapper" fragt, warum sein drittes Album klingt wie sein erstes und zweites, und vor allem, warum alle drei einfach nichts Besonderes sind. Mein Inneres schreit, mein Blut kocht, meine Frau fragt sich, warum ich auf dem Sofa auf- und abrutsche und mit wahnsinnigem Blick, schweißgebadet, in den Laptop schaue: "Frag ihn nach seinem Hass auf Israel, frag ihn, warum er eins zu eins klingt wie Haftbefehl, frag ihn, warum er von Schlägereien erzählt, obwohl er bestenfalls 1,70m groß ist, frag ihn einfach, warum er so scheiße ist." Aber nein. Er fragt wieder nach der Amazonbox und nach seinem Streit mit einem anderen Rapper (vermutlich mit Fler – es ist meistens Fler).
Wie lässt sich das Problem zusammenfassen? International betrachtet sind Magazine auf Künstler in gleichem Maße angewiesen wie Künstler auf Magazine, nur haben es in der Deutschrap-Landschaft die Künstler irgendwie geschafft, eine dominantere Rolle einzunehmen und den Magazinen ihren Promoplan aufzuzwingen. Die großen Magazine sollten hier eventuell über einen einheitlichen Umschwung nachdenken, aufhören, Rapper nur aufgrund deren Fanbase und nicht mehr aufgrund von guter Musik zu interviewen und sich auch mal mit einer negativen Review zu einem beliebten Artist in riskantere Gefilde zu begeben – sofern das Album eine solche Review verdient. Negative Bewertungen bei Rappern wie Seyed, Majoe oder Spongebozz sind Selbstläufer, jeder versteht, warum hier ein Verriss geschrieben wurde und absolut kein ernsthaft denkender Mensch würde etwas Anderes erwarten. Traut sich allerdings doch mal ein Magazin, Kritik zu äußern, die der Rapper sowie dessen Fans nicht gewohnt sind, brechen apokalyptische Zustände aus, Facebook- und Forenkommentare stellen sofort die Seriosität des kompletten Teams in Frage und Rapper lassen sich im TV-Straßensound-Interview über den Redakteur aus (hallo Chakuza). Ein allseits bekannter Rapper aus dem Ruhrpott droht Magazinen auch gerne nach schlecht rezensierten Alben damit "die Hurensöhne in den Arsch zu ficken". Warum lehnen Rapper Magazine ab, aber Magazine nicht die Rapper? Wer aufmerksam war, weiß es: Klicks = Geld (ja, immer noch) und so lange es hier zu keinem einheitlichen Umdenken kommt, werden Rapper weiterhin mimosenhaft durch die Welt spazieren und alles unter Höchstwertung als Beleidigung ihres musikalischen Genius auffassen.
El-Patroni (David)